Aus Rezensionen
über "Die Mauer steht am Rhein":

"Eine atemberaubende Lektüre"
Die Zeit

"Gott sei Dank nur ein Alptraum. Aber was für einer!"
Der Spiegel

"Intelligent und witzig"
ARD-Kulturreport

"Weltpolitischer Albtraum"
Focus

"Geschichtszauberstück"
Spiegel Spezial

"Auf seine ganz spezielle Art ist 'Die Mauer steht am Rhein' der Roman zur deutschen Einheit - die realsozialistische Alternative zu Thomas Brussig."
Fuldaer Zeitung

"Brillant"
Wilhelmshavener Zeitung

"Scharfsichtige politische Analyse im Romankleid"
Südwest Presse

"Mit erzählerischem Raffinement und ironischer Schärfe"
Lausitzer Rundschau

"Komisch und verblüffend zugleich"
ZDF-Morgenmagazin

"Leseleicht und spannend, und es stimmt nachdenklich."
Meridian, Hessischer Rundfunk

"Eine phantastische Geschichte"
Rheinischer Merkur

"Kraftvoller Beitrag"
Ostseezeitung

"Dagegen bleibt George Orwell eher hypothetisch."
Südwestrundfunk

"Politmärchen, das als soziologische Vision und Realsatire zugleich überzeugt."
Schweizer Illustrierte

"Das Buch sprüht vor Einfällen und ist doch mehr als reine Phantasie."
Thüringer Allgemeine

"Mit seiner politischen Horror-Story sorgt Ditfurth schon für einige Gänsehaut."
Hannoversche Allgemeine

"Grandioser sozialistischer Pappkamerad"
Neues Deutschland

"Verblüffend plausibel"
DDR im WWW

"Christian von Ditfurth lügt! Und das in einer unverschämten Weise."
Radio Campus, Bochum

 Rezensionen

 







 

 

 

 Kontakt
 Christian v. Ditfurth
 Wrangelstr. 91
 10997 Berlin
 Tel.: (030) 65006136
 Fax: (030) 96601198
 E-Mail

Probekapitel:

 

Prolog

Glücklich, wer's in Zürich aushält. Heute bin ich über den Utoquai zur Bellerivestrasse spaziert, strahlender Sonnenschein, links vorn, leicht ansteigend, der Riesbach, knapp 500 Meter hoch, rechts der Zürichsee, blau mit weißen Tupfen - Segelboote, Ausflugsschiffe.
Gestern hatte ich die andere Route genommen, bin von der Nordspitze des Sees zum Belvoir-Park gelaufen, habe dort auf einer Bank dem munteren Treiben zugesehen: spielende Kinder, turtelnde Pärchen, alte Menschen auf der Flucht vor der Einsamkeit. Am Strandbad Geschrei, wildes Treiben, Gespritze, weit draußen ein Schwimmer mit blau-weißer Badekappe, der mit kräftigen Zügen das Wasser teilt. Hoffentlich überfährt ihn nicht ein unvorsichtiger Segler.
Hier ist es immer wärmer, als es die Breitengrade eigentlich zulassen. 1963, vor 36 Jahren also, ist der See das letzte Mal zugefroren, hat man mir erzählt. Ich stelle mir Schlittschuhläufer vor, die den See wiegenden Schritts vom Mythenquai zum Zürichhorn überqueren. Ob ich das noch einmal erlebe? Wann kommt der nächste Eiswinter? Wo werde ich dann sein? In Deutschland? Kaum.
In der Stadt strotzt es vor Reichtum. Viel davon verdankt sie der Haupterwerbstätigkeit der Zürcher, dem Geldvermehren. Ein wenig aber auch "seinen" Flüchtlingen, Menschen, die Krieg und Unterdrückung in die ewig friedliche Schweiz trieben, viele davon nach Zürich. Richard Wagner und Gottfried Büchner waren hier, der große deutsche Baumeister Gottfried Semper schuf Mitte des vergangenen Jahrhunderts das Polytechnikum, das später als Eidgenössische Technische Hochschule (ETH) Albert Einstein aufnehmen sollte. Zürich war in der Zeit des Sozialistengesetzes das Zentrum der sozialdemokratischen Emigration. Julius Motteler, der "rote Feldpostmeister", fand immer Wege, den "Sozialdemokrat", das illegale Parteiblatt, über die deutsche Grenze zu schmuggeln. Heute wäre das ein selbstmörderisches Unterfangen.
Lenin war verschiedentlich in Zürich. Von hier aus durchquerte er 1917 in einem plombierten Eisenbahnwaggon mit Genehmigung von Hindenburgs Oberster Heeresleitung Deutschland, um in Rußland seine "Aprilthesen" zu verkünden: Die Bolschewiki wollten mit friedlichen Mitteln an die Macht. Was aus dieser Absicht wurde, wissen wir. Und auch, was dem Putsch in Petrograd im Oktober folgen sollte. Ein Schlüsseldatum der Weltgeschichte, in den folgenden Jahrzehnten kamen Millionen von Menschen um oder wurden eingesperrt. Wie viele Menschen mögen noch in den Isolierungslagern der Demokratischen Republik Deutschland (DRD) sitzen, obwohl die Aprilkrise, der Aufstand von 1993, schon sechs Jahre zurückliegt?
Nur eine vergleichsweise kleine Minderheit konnte sich vor Tod oder Haft durch Flucht retten. So wie ich. Insofern hatte ich Glück. Oder ich hatte besser vorausgesehen, was kommen würde. Vielleicht aber war ich einfach nur ängstlicher als die meisten Mitmenschen. Nur gab dieses Mal die Wirklichkeit meiner Angst recht.
Aber warum klage ich? Es geht mir besser als vielen jener knapp 40 000 deutschen Emigranten in Zürich und auch besser als jenen 300 000 Frauen, Männern und Kindern, die seit 1989 in die Schweiz geströmt sind. Ich lebe nicht nur von der kärglichen Flüchtlingsunterstützung und bin auch nicht ohne Arbeit, sondern kann immerhin manchmal einen Artikel in einer schweizerischen oder österreichischen Zeitung unterbringen, und für diesen Bericht habe ich sogar einen Verlag gefunden.
Inzwischen gelingt es nur noch wenigen Wagemutigen, das neue Deutschland zu verlassen. Die meisten Flüchtlinge werden von den deutschen Grenzsoldaten ergriffen. Jedes Jahr sterben zig Menschen unter den Schüssen der Grenzposten oder im Splitterhagel der Minen und Selbstschußanlagen. Man hört auch immer wieder von Leuten, die an der Schweizer Grenze abgewiesen und nach Deutschland zurückgeschickt werden. Aber darüber findet man kein Wort in den deutschen Zeitungen, auch nicht in den schweizerischen. Es scheint fast so, als gäbe es ein stillschweigendes Einvernehmen zwischen den Deutschen und den Schweizern, die Lage an der Grenze nicht eskalieren zu lassen.
Überhaupt halten sich die Politiker und Medien hier zurück. Kaum ein schlechtes Wort über den Nachbarn. Statt dessen immer wieder Verständnis und der Verweis darauf, daß Konfrontation die Reformkräfte in Deutschland nur schwächen würde. Erst wenn die Deutschen das Gefühl bekämen, sie wären respektierte, gleichberechtigte Nachbarn, könne sich der Sozialismus reformieren, behaupten einige Schweizer Politexperten.
Viele wollen das glauben, aber diese Hoffnung ist auch ein Ergebnis der massiven Kritik der Berliner Regierung an den Eidgenossen, die nach deutscher Auffassung ihre Grenze zu lange als "Schweizer Käse" betrachtet hatten, wie die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" hämisch kommentierte: zu viele Löcher für zu viele Menschen. Von einer "böswilligen Einmischung in die inneren Angelegenheiten des souveränen Deutschlands" hatte DRD-Ministerpräsident Karsten D. Voigt gesprochen, und das klang in manchen Schweizer Ohren wie das Rasseln von dreißig Panzerregimentern. Voigt beklagte sich vor allem über die deutschen Flüchtlingsvereinigungen in der Schweiz, die sich mühten, Kontakte nach drüben aufzubauen und Menschen bei der Flucht zu helfen.
Tunnel waren gebaut worden und Fesselballons waren nachts über die Grenze geschwebt, bis deutsche Grenzsoldaten einige mit Maschinengewehrsalven heruntergeholt hatten. Aber inzwischen ist die Entspannung weit fortgeschritten. Sieht man ab von wenigen "unerfreulichen Zwischenfällen an der gemeinsamen Grenze", so die Regierung in Bern, gibt es keine Streitpunkte mehr zwischen Deutschland und der Schweiz.
Außer uns Emigranten. Über uns zanken sich mehr und mehr auch die Schweizer. Wir kosten Geld, auch wenn man meinen sollte, davon gäbe es hier genug. Wir sind der Grund für Ärger mit der deutschen Regierung, die mit Penetranz von Bern fordert, den "friedensfeindlichen Sumpf trockenzulegen". Ohne uns würden die Geschäfte mit dem mächtigen Nachbarn besser laufen, behaupten einige, ohne aber Beweise anführen zu können. Außerdem nähmen wir Schweizern Arbeitsplätze weg. Es wird wohl nicht mehr lange dauern, bis Gruppen, nicht nur aus dem rechten politischen Lager, einen Volksentscheid erzwingen darüber, ob wir hier bleiben dürfen oder gehen müssen. Und wenn wir gehen müssen, wohin?
Hier in Zürich lebe ich zwar in der Fremde, fühle ich mich eingeschnürt und abgelehnt von vielen Einheimischen, aber die Menschen sprechen Deutsch, wenn es auch oft schwer verständlich ist. Bei aller geschäftstüchtigen Selbstbeschränkung, Zeitungen, Radio und Fernsehen berichten immerhin aus Deutschland, und wer zwischen den Zeilen lesen kann, entdeckt aufschlußreiche Facetten der deutschen Wirklichkeit.
Natürlich lese ich jeden Montag den "Spiegel" und bewundere es fast, mit welch ausgefeilter Rabulistik das Blatt die Kurve kriegte. Fast so elegant wie die "Zeit", aber unterhaltsamer. Ex-"Spiegel"-Herausgeber Rudolf Augstein sitzt irgendwo im Tessin, und der neue, jugendliche Chefredakteur, Günter Quirl, zeigt Biß, wenn auch mit begrenztem Feindbild. Soviel Lob über die Regierung hat man im Hamburger Magazin nie zuvor gelesen - alles im Zeichen der "Verantwortung für den Frieden". Um so heftiger drischt das Blatt auf uns ein. Gerade diesen Montag wurde der "Emigrantenmafia in der Schweiz" mal wieder nachgewiesen, daß sie sich auf Kosten der braven Eidgenossen ihren fruchtlosen Intrigen gegen das neue Deutschland widme, wenn sie nicht gerade Skandälchen hervorbringe. In Österreich und anderen westeuropäischen Ländern sei es nicht besser.
Und dann stand da als ein Beweis für diese Unterstellung Süffisantes über Helmut Kohl und seine einstige Bürovorsteherin Juliane Weber, die beide in Österreich, am Wolfgangsee, leben, während Hannelore Kohl in Oggersheim geblieben ist. "Ich und meine Kinder, wir sind und bleiben Deutsche und kehren unserem Vaterland auch in schweren Zeiten nicht den Rücken", zitiert der "Spiegel" die Gattin des Ex-Kanzlers.
Die meist weniger geschickten Beschimpfungen und Lügen der großen und der kleinen Blätter aus Deutschland, der Radio- und TV-Sender schmerzen mich kaum noch. Aber immer wieder bitter ist es, die "Rheinische Post" zu lesen. Es gibt sie im Zeitschriftenladen im Hauptbahnhof. Bei der "Rheinischen Post" in Düsseldorf habe ich bis zu meiner Flucht im Januar 1996 gearbeitet. Ich war keine der berühmten Edelfedern, die sich heute, wenn sie nicht emigriert sind, für die durchsichtigen Schmeicheleien von ZK-Sekretär Peter Boenisch mit gefälligen Artikeln bedanken. Ich war Sportredakteur und erfreute mich des Respekts meiner Kollegen, sofern sie mich denn wahrnahmen. Ich war einer jener fleißigen und zuverlässigen Schreiberlinge, ohne die eine Zeitung nicht funktioniert. Ich war austauschbar, aber warum hätte man mich austauschen sollen? Ich wußte eine Menge über Fußball, Reiten oder Leichtathletik, und meine Berichte kamen an. Das zeigten jedenfalls hin und wieder Leserbriefe.
Für Politik hatte ich mich damals kaum mehr interessiert als Otto Normalverbraucher. Lange hatte ich geglaubt, mich mit den neuen Umständen arrangieren zu können. Natürlich paßte mir die deutsche Vereinigung nicht, jedenfalls nicht so, wie sie durchgeführt wurde. Sicher, ich hatte den Diskussionen der Kollegen in der politischen Redaktion zugehört, von denen einige die Zukunft in schwärzesten Farben malten. Aber hatte nicht unser Chefredakteur, Gerhart Gerstig, erklärt, es werde nichts so heiß gegessen, wie es gekocht werde? Hatte er nicht geraten, ruhig zu bleiben, die neue Regierung nicht zu provozieren und seine "Pflicht als Deutscher" zu tun? Ich hatte in dem Glauben gelebt, daß mir sowieso nichts passieren könne. Auch in der "antimonopolistischen Demokratie" würde Sport getrieben und mußte es Leute geben, die darüber berichteten. In der Tat ließ mich der Betreuer des Informationsministeriums, einige nannten ihn Uhu, lange Zeit unbehelligt, länger jedenfalls als meine Kollegen von der Politik. Aber dann war auch ich an der Reihe.

Seitenanfang