Kontakt
Christian v. Ditfurth
Wrangelstr. 91
10997 Berlin
Tel.: (030) 65006136
Fax: (030) 96601198
E-Mail
"Ditfurth zeigt den
grässlichen Fatalismus der Geschichte"
Die Welt
"Ein extrem spannender,
toll erzählter historischer Politkrimi aus einer Zeit, die es so nie
gab. Faszinierend."
Brigitte
"Ein Meisterwerk"
Österreichischer Rundfunk
"Ein Krimi, wie er
sein soll, spannend bis zur buchstäblich letzten Seite"
Nürnberger Zeitung
"Historisch plausibel
und literarisch gekonnt"
Sächsische Zeitung
"Wen die Spannung
dieses Krimis einmal ergriffen hat, der findet sich schon bald in der merkwürdigen
Lage, wissen zu wollen, wer der Mörder Adolf Hitlers war."
Lübecker Nachrichten
"Spannung,
Realismus und Zeitkritik"
Neues Deutschland
"Spannender Spekulationsroman"
Esslinger Zeitung
"Eine Originalität,
die in Bann schlägt"
Märkische Allgemeine
"Großartige
Fiction - aus Deutschland!"
Buchmarkt
"Erschreckend glaubhaft"
Buchrezensionen
online
Aus Rezensionen
über "Mann ohne Makel":
"Ein packender Krimi,
der zeigt, dass deutsche Autoren mit deutschen Themen bestens gegen internationale
Konkurrenz bestehen können."
Focus
"Ein erstklassiger
Roman"
Brigitte
"Wünscht man sich
also noch mehr Fälle für Josef Maria Stachelmann."
Die Welt
"Wallander ... hinterlässt
eine schmerzende Lücke bei Krimilesern. Vielleicht aber gibt es Trost.
Der kommt aus Hamburg, heißt Josef Maria Stachelmann und ist Historiker."
NDR Fernsehen
"Vielleicht macht
gerade diese Mischung aus Menschen- und Geschichtskenntnis das Buch vom 'Mann
ohne Makel' so unterhaltsam und spannend zugleich."
WDR 2 Radio
"Virtuos verwebt"
Südkurier
"Ein deutscher Thriller
vom Feinsten"
Wilhelmshavener Zeitung
"Superspannend"
Rheinische Post
"Deutschlands Antwort
auf Henning Mankell"
playboy
"Ditfurth spielt in seinen Romanen
mit der Geschichte."
Hamburger Abendblatt
"Lässt
... auf weitere Ermittlungen dieses auf sympathische Weise zerknitterten Historikers
in der Rolle des Amateurdetektivs hoffen."
NDR Radio 3
"Hohes Suchtpotential"
Saarbrücker Zeitung
"Spannende Krimi-Geschichte"
Hannoversche Allgemeine
"Grausam genug, dass
das spannend sein kann"
Badische Zeitung
"Angenehm ist es,
im Leben oder im Buch einen Menschen zu finden, den man auf Anhieb sowohl
interessant als auch sympathisch findet."
Sächsische Zeitung
"Mit dem
stets vom privaten und beruflichen Scheitern bedrohten Uni-Dozenten (...)
besetzt von Ditfurth eine vakante Stelle unter den literarischen Ermittlern."
Nordkurier
"Der
erste Krimi überhaupt mit einem Historiker als Detektiv"
Lübecker Nachrichten
"Kunststück bravourös
gelungen"
dpa
"Einen
Stachelmann erfindet man schließlich nicht alle Tage."
Kölner Stadt-Anzeiger
"Makellos spannendes
Werk"
Hersfelder Zeitung
"Es ist eines dieser seltenen
Bücher, bei denen man nicht nur gut unterhalten wird, sondern auch noch viel
Geschichtswissen vermittelt bekommt."
Pforzheimer Zeitung
"Eine wirklich neuartige
Figur in der Krimiwelt"
P. S.
"Vermag die Lektüre
ums bittere Erbe der Naziväter angenehm leichtgängig zu unterhalten"
Bremer
"Unnachahmlich"
Buchmarkt
Wir
waren drei. Kurt Rübezahl kroch hinter mir, Walter Berg hinter Kurt. Wir
hatten die Koppelschlösser abgeschnallt und uns die Gesichter geschwärzt.
Bewaffnet waren wir nur mit Seitengewehren. Wir hatten uns am Nachmittag
zu diesem Spähtrupp verabredet, dem Zugführer Meldung gemacht, und als es
dunkel war, gingen wir los. Es war im Juli 1918, westlich eines belgischen
Kaffs namens Diksmuide. Wir wollten uns einen britischen Scharfschützen
schnappen, der sich irgendwo vor der feindlichen Linie eingenistet hatte.
Es war ein Nachtarbeiter. Seit fünf Nächten schoss er auf alles, was er
bei uns sehen konnte. Vier Kameraden gingen auf seine Kappe, einem hatte
er die Zigarette ins Gesicht geschossen. Wir hassten diesen Tommy. »Kann
sein, dass es eine Falle ist«, hatte der Leutnant gesagt, als ich ihm unseren
Plan meldete. »Aber geht mal, ist ja sonst nichts los, seit Ludendorff keine
Lust mehr hat. Hatte auch schon dran gedacht, den Kerl auszuheben. Und wenn's
geht, würde ich mit dem Mister gerne ein wenig parlieren.« Er kaute auf
der Pfeife. Sie hatten Ernst Baumbold als Leutnant der Reserve aus einem
Gymnasium geholt. Er war kein Schinder.
Vor
uns ein Aufblitzen, dann schoss eine Rakete aus dem britischen Graben in
den Himmel. Drei weiße Kugeln standen einen Augenblick in der Luft, dann
schwebten sie langsam hinab und beleuchteten fahl das Niemandsland. Der
einzige Baum, den die Granaten noch nicht umgepflügt hatten, sah aus wie
ein aus der Form gerissenes Riesenskelett. Er stand in einem Meer aus Trichtern,
großen und kleinen, flachen und tiefen. Als die Leuchtkugeln dicht über
dem Boden schwebten, warf das Baumskelett seinen verzweigten Schatten auf
das Trichtermeer. Weit hinter den feindlichen Linien grummelte schwere Artillerie.
Gleich würden die Granaten heranrauschen. Nichts Ernstes, nur ein Gutenachtgruß.
Die Briten hatten ihre Geschütze schlecht gerichtet, die Geschosse schlugen
weit hinter unserem Graben ein.
Wir pressten uns an den Boden, bis die Leuchtkugeln
erloschen. Irgendwo weiter vorn, nahe der britischen Stellung, musste der
Schütze sitzen. Dann war es still und dunkel, nur leises Geknatter weit
weg. Ich kroch ein Stück in nördlicher Richtung und rutschte in einen Trichter.
Kurt und Walter kamen nach und legten sich neben mich. Wir starrten in die
Nacht. Jetzt hörte man irgendwo dumpfe Schläge, es war nicht auszumachen,
ob sie von feindlichen oder eigenen Geschützen stammten. Die Augen gewöhnten
sich an die Dunkelheit. Der Viertelmond färbte die Erdwüste um uns grau.
Ich erkannte den Baum. Er streckte seine blattlosen Zweige in die Nacht.
Mehr als eine Stunde lagen wir in dem Loch, den Scharfschützen
sahen und hörten wir nicht. Ich überlegte schon, ob wir aufgeben sollten.
Dann glitt ich aus dem Trichter und kroch näher an den britischen Graben
heran, Kurt und Walter folgten. Nach etwa achtzig Metern stieß ich auf ein
flaches Loch und kauerte mich hinein. Kurt und Walter legten sich links
und rechts neben mich. Als der Schuss knallte, zuckte ich zusammen. Danach
klickte es leise, der Engländer hatte repetiert. Kurt tippte mir an die
Schulter und zeigte nach vorn. »Da ist er, vielleicht fünfundzwanzig Meter«,
flüsterte er mir ins Ohr. Ich nickte. Der Scharfschütze lag gut hundertzwanzig
Meter vor der britischen Stellung. Ich zeigte auf Walter, dann beschrieb
mein Zeigefinger einen sich nach links wölbenden Halbkreis. Walter nickte,
er würde den Kerl links umgehen. Ich bedeutete Kurt, er solle Walter folgen.
Dann zeigte ich auf mich und wies nach rechts, mein Zeigefinger beschrieb
einen nach links gekrümmten Haken. Ich würde den Scharfschützen rechts umgehen
und versuchen, ihm in den Rücken zu kommen. Mein Herz pochte, wir krochen
dicht an die britische Stellung heran. Wenn die Posten uns hörten oder sahen,
würden ihre MGs uns in Stücke schießen. Wir verließen den Trichter auf Ellbogen
und Knien. Wenn ich Wurzeln greifen konnte, zog ich mich an ihnen vorwärts.
Dann drückte ich mich tief in die Erde. Kurt und Walter verschwanden in
der Nacht.
Ich kroch weiter. Plötzlich ein Schmerz in der linken
Hand. Ich betastete die schmerzende Stelle. Etwas Scharfes steckte in der
Haut, ein Granatsplitter oder eine Scherbe. Ich zog sie heraus und warf
sie weg, dann krümmte ich vorsichtig die Finger. Es schmerzte, aber sie
bewegten sich. Mit meinem Taschentuch verband ich vorsichtig die Hand.
Auf einmal wusste ich nicht mehr, wo ich war. Hatte ich den Scharfschützen
bereits umgangen? Oder war ich der britischen Stellung schon zu nahe gekommen?
Ich blieb liegen und versuchte mich zu orientieren. Angst kroch mir in die
Glieder. Nicht weit schlug eine Granate ein, wohl eine deutsche, sie spritzte
Sandkörner auf mich. Warum schossen sie? Die wussten doch, dass wir hier
draußen waren! Ich legte mich auf den Rücken und starrte in den Himmel,
als könnte von dort ein Fingerzeig kommen. Der Mond verschwand hinter einer
Wolkenbank. Dann war es finster. Ich versuchte mich auf meinen Weg zu konzentrieren.
Wo kam ich her, wo wollte ich hin? Ich drehte mich auf den Bauch und wollte
weiterkriechen. Ich stützte mich auf Ellbogen und Knie, aber ich kam nicht
voran. Als hätte mich jemand festgeklebt in der Erde. Ich war gelähmt. Dann
hörte ich das Klopfen. Erst leise, dann immer lauter. Ich spürte, wie mein
Mund sich öffnete, dann schrie ich. Das Klopfen übertönte meinen Schrei.
Ich schloss die Augen. Die Briten hatten mich längst erkannt und würden
gleich hier sein, um mich mit Bajonetten zu durchbohren. Ich sah den Stahl
glitzern. Wo waren meine Kameraden? Es klopfte lauter, meine Ohren schmerzten.
Ich schwitzte und zitterte.
Als ich die Augen öffnete, erkannte ich nichts. Dann
hörte ich wieder das Klopfen. Ich lag auf etwas Weichem. Ich blinzelte,
dann tastete ich mit meinen Händen die Umgebung ab. Es fühlte sich weich
und warm an. Dann stieß ich auf etwas Hartes, es klirrte. Meine Nachttischlampe
war heruntergefallen. Es klopfte weiter, ich hörte auch Rufe. Ich fluchte
und stand auf. Es knirschte, der Schmerz zog hoch ins Bein, ich war in einen
Splitter des Lampenschirms getreten. Ich humpelte zur Tür und knipste das
Licht an, es blendete. An meinem rechten Fuß war Blut. Jemand hämmerte an
die Tür. Ich schaute zur Wanduhr, es war fast drei Uhr am Morgen. Ich ging
zur Tür, wobei ich eine Blutspur auf dem Teppich hinterließ, und hörte die
Rufe. »Herr Kommissar, machen Sie auf! Es ist dringend! Öffnen Sie!« Die
Stimme kannte ich, es war Egon Wohlfeld, mein bester Kriminalassistent.
Der Mann hatte ein solches Vollmondgesicht, dass manche Kollegen Schlafstörungen
befürchteten, wenn er sie länger ansah. Er war ein ruhiger Zeitgenosse und
hatte nicht die Angewohnheit, nachts Vorgesetzte aus dem Bett zu trommeln.
Als ich die Tür öffnete, fiel mir zuerst Wohlfelds bleiches Gesicht auf.
»Herr Kommissar, es ist etwas Furchtbares geschehen. Sie müssen sofort aufs
Präsidium. Schnell, der Herr Polizeipräsident wartet schon.«
Was war in Wohlfeld gefahren? »Nun fassen Sie sich mal, was ist passiert?«
Wohlfeld schaute mich erstaunt an, als müsste ich
es wissen. »Hitler soll ermordet worden sein, in Weimar.« Er stotterte.
Ich hatte ihn noch nie stottern gehört.
Die Überraschung wich dem Ärger. Ich war sauer. Was
interessierte mich dieser selbsternannte Erlöser aus Österreich? »Haben
die in Thüringen keine Polizei mehr? Hat nicht der formidable Herr Innenminister
Frick bei seinem braunen Intermezzo in Weimar einen Haufen Nazipolizisten
befördert? Und haben die nicht seit August eine richtig schicke Naziregierung
mit dem nicht weniger formidablen Herrn Sauckel? Können die nicht selbst
schauen, ob die Leiche ihr Führer ist? Was habe ich damit zu tun?« Dann
winkte ich Wohlfeld in die Diele und sagte: »Warten Sie, ich ziehe was an.
Ach nee, kommen Sie mal mit.« Ich humpelte ins Bad und setzte mich auf den
Rand der Wanne. Dann hielt ich Wohlfeld meinen schmerzenden Fuß hin. »Da
ist ein Splitter drin, holen Sie den raus! Beeilen Sie sich.«
Wohlfeld schaute auf den Fuß, dann auf mich
und warf mir einen verwirrten Blick zu. »Mit was?«
Neben dem Waschbecken stand ein schmaler hoher Schrank.
Er hatte oben eine Tür, unten vier Schubladen. Ich deutete auf die obere
Schublade. »Da drin liegt irgendwo eine Pinzette.« Ich hoffte, dass Erika
sie dagelassen hatte, als sie letzte Woche ihre Sachen packte.
Wohlfeld stöberte zaghaft in der Schublade, dann hatte
er die Pinzette in der Hand. Er betrachtete meinen Fuß, wischte mit Klopapier
das Blut weg und sagte: »Da ist er.« Während Blut nachsickerte, zog Wohlfeld
einen kleinen glitzernden Glassplitter aus der Haut. Er fand ein Pflaster
in der Schublade und klebte es auf die Sohle, nachdem er zuvor noch einmal
das Blut weggewischt hatte.
Ich wusch mir das Gesicht, kämmte die paar grauen
Haare, die mir geblieben waren, und zog mich im Schlafzimmer an. Wie jeden
Morgen warf ich zum Abschied einen Blick auf das Foto von Elsbeth, das in
einem Silberrahmen auf dem Nachttisch stand. Der Wecker zeigte kurz nach
vier. Auf die Rasur verzichtete ich. Dann stieg ich mit Wohlfeld in unseren
schweren Horch 8, der aus dem beschlagnahmten Vermögen der Sklarek-Brüder
stammte. Von der Zinzendorfstraße in Moabit, wo ich in einem alten fünfstöckigen
Mietshaus im oberen Stockwerk wohnte, bis zum Alexanderplatz brauchte Wohlfeld
knapp zwanzig Minuten. Die Straßen waren fast leer. Vor dem großen Krach
hatte es nachts mehr Verkehr gegeben. Mein rechter Fuß glitschte im Schuh.
Wohlfeld stieg hart in die Bremsen, als er den Eingang Alexanderstraße des
mächtigen Gebäudes aus rotem Backstein erreichte, in dem der Kopf und die
wichtigsten Glieder der Berliner Polizei residierten. Wir bildeten uns ein,
dieser Bau sei gefürchtet unter den Ganoven der Hauptstadt. »Ich bringe
nur schnell den Wagen weg«, sagte Wohlfeld und gab Gas, bevor ich ihn anschnauzen
konnte. Mir gingen seine Bremsmanöver auf die Nerven und vor allem auf den
Magen. Manchmal hatte ich den Verdacht, er wollte mich kotzen sehen.
Ich zündete mir eine Zigarette an und eilte die Treppen
hinauf, den Homburg in der Hand. In der sechsten Etage drückte ich die Zigarette
aus und öffnete die Tür zum Vorzimmers des Präsidenten. Selma Wieczorek
saß an ihrer Schreibmaschine, als wäre es normal, morgens vor fünf Uhr an
einer Schreibmaschine zu sitzen. Sie drehte sich kaum um und sagte: »Die
Herren warten schon.«
Es waren zwei Herren. Der eine war der Polizeipräsident
Kurt Melcher, im Juli erst vom Reichskanzler Papen ins Amt gerufen, als
die sozialdemokratische Landesregierung beim Preußenschlag abserviert wurde.
Papen hatte Melcher aus Essen importiert. Seine Glatze glänzte im Licht
des Lüsters, der schwer von der Decke hing. Etwas abseits in der Ecke saß
ein zweiter Mann, in der Uniform eines Oberleutnants der Reichswehr. Er
nickte mir zu. Es war ein junger Mann.
Mich faszinierten immer wieder Melchers Ohren. Sie
waren tief angesetzt, stießen fast an den steifen Hemdkragen. Seine kräftige
Nase endete in einer tropfenförmigen Spitze. Ich war damals noch dabei,
mir eine Meinung über Melcher zu bilden. Er war eingesetzt worden für den
geschassten Grzesinski, und der war nicht nur Sozialdemokrat, sondern hatte
auch bei den sittenstrengen Herren um den Reichspräsidenten verschissen,
weil er zur Freude der Boulevardpresse seine Schauspielerfreundin mehr liebte
als Ehefrau und Amt.
»Herr Kommissar, wir haben auf Sie warten müssen«,
sagte Melcher mit fast tonloser Stimme.
Ich hätte am liebsten den Schuh ausgezogen und dem
Herrn meinen blutigen Fuß auf den Schreibtisch gelegt. Aber ich sagte nur:
»So schnell es ging, Herr Präsident.«
»Aha«, sagte Melcher und zog die schmalen Augenbrauen
hoch. »Sie werden sich vielleicht fragen, wer dieser Herr ist.« Er zeigte
auf den Oberleutnant. »Herr Oberleutnant Rickmer ist im Auftrag des Herrn
Reichswehrministers hier. Er ist gewissermaßen der inoffizielle Beobachter
des Generals von Schleicher. Er wird Sie begleiten bei Ihren Ermittlungen
und dem Herrn Reichswehrminister berichten.«
Er wandte sich an den Oberleutnant. »Und das ist einer
unserer fähigsten Beamten, der Kriminalkommissar Soetting, Leiter der aktiven
Mordkommission. Auf jeden Fall hat niemand mehr Belohnungen bekommen als
Sie.« Das klang wie ein Vorwurf. Dabei war es üblich, dass die Polizeiführung
Gratifikationen verteilte, wenn man schwierige und wichtige Fälle löste.
Manchmal zeigten auch Bürger ihre Dankbarkeit. Das erlebte ich zum ersten
Mal, als ich kurz vor der Inflation dem Einbruchsdezernat zugeteilt war
und Kowalski verhaftete. Eines seiner Opfer durfte mir mit Billigung des
Dezernatsleiters zweihundert Mark schenken. Kowalski war der zweite auf
meiner mittlerweile langen Liste, der Kriminalanwärter Soetting war stolz
gewesen auf die Verhaftung. Wenige Jahre später hatte ich ihn wieder erwischt,
als er eine Villa im Tiergartenviertel ausräumen wollte. Nachbarn hatten
ihn gesehen, ich hatte Bereitschaft, und Kowalski wurde mein Stammkunde.
Ich habe nie viel Sinn darin gesehen, Verhaftete fertigzumachen. Freundlichkeit
führt meist schneller zum Ziel. Bekanntermaßen verdankte auch der alte Gennat
dieser Methode einen Teil seiner legendären Erfolge. Seit den beiden Verhaftungen
hatte Kowalski mir immer mal wieder einen Tip gegeben. Wenn ich ihn bei
Razzien sah in einschlägigen Kneipen, begrüßte er mich freundlich, und ich
kontrollierte ihn nicht. Als ich 1927 zur Mordinspektion versetzt wurde,
brach der Kontakt ab.
Ich schaute zu Rickmer, der verzog keine Miene, nickte
nur fast unsichtbar.
»Ich möchte nicht, dass Sie gegenüber der Presse etwas
über diesen Fall sagen. Wenn einer was sagt, bin ich das. Ist das klar?«
Melcher schaute mich streng an.
Ich starrte einige Sekunden regungslos zurück, der
Ton passte mir nicht. Dann sagte ich: »Jawohl, Herr Präsident.«
Ich spürte die Missbilligung in seinem Blick. Vielleicht
hielt er mich für einen verkappten Grzesinski-Mann. Vielleicht wollte er
mir den Auftrag gar nicht geben, musste es aber, damit ihm hinterher niemand
etwas vorwerfen konnte.
Als hätte Melcher meine Gedanken geahnt, sagte er:
»Seit dem Abgang unseres Kollegen Engelbrecht kommen für diesen Auftrag
eigentlich nur Sie in Frage. Den Kollegen Gennat will ich mit solchen Fällen
nicht behelligen. Er ist, sagen wir mal, nicht beweglich genug, womit ich
natürlich seine herausragenden kriminalistischen Fähigkeiten und Verdienste
nicht in Abrede stellen will.« Der Polizeipräsident ließ Missbilligung aufscheinen
in seinem Gesicht. Der Chef der Mordinspektion, Kriminalrat Ernst Gennat,
der Buddha der Polizei, hatte sich seit Jahren mit Torte vollgestopft, bis
er keine Treppe mehr hochkam. »Ich bin natürlich sicher, dass Sie den Rat
des Kollegen Gennat suchen werden. Genauso sicher bin ich, dass unser geschätzter
Herr Exkollege Engelbrecht öffentlich feststellen wird, dass wir einmal
mehr alles falsch machen und dass ihm diese Fehler nicht unterlaufen wären.«
Ernst Engelbrecht wurde seinerzeit in Ganovenkreisen der »Blitz« genannt,
wobei unklar blieb, ob er sich den Namen nicht selbst verpasst hatte. Der
war abgehauen, hatte geschmissen, wollte sich als Schriftsteller versuchen,
war ein Pfau. Ich wusste nie so recht, ob er seinen Ruf seinen Leistungen
oder der Selbstbeweihräucherung verdankte, zu der ihn irgend etwas trieb.
Immerhin, Engelbrecht hatte immer einen netten Spruch auf den Lippen gehabt,
den etwa:
»Willst
du beim Fachgenossen gelten,
Das
ist verlor'ne Liebesmüh',
Was
dir misslingt, verzeih'n sie selten,
Was
dir gelingt, verzeih'n sie nie.«
Den
Abgang hatten die Herren im preußischen Innenministerium Engelbrecht schon
gar nicht verziehen.
»Jawohl, Herr Polizeipräsident«, sagte ich.
Er warf mir einen misstrauischen Blick zu. Dann sagte
er: »Kommen wir zur Sache. Im Hotel Elephant in Weimar liegt eine Leiche.
Laut Auskunft der dortigen Mordkommission handelt es sich um Adolf Hitler.«
Ich hätte gerne eine geraucht. Der Fuß schmerzte.
Einen Moment keimte die Angst vor einer Blutvergiftung in mir. Ich war müde.
Hitler war tot, schlecht für ihn.
»Das Thüringer Innenministerium hat sofort den Reichspräsidenten
und die Reichsregierung unterrichtet. Der Reichsinnenminister hat eine Nachrichtensperre
verhängt, vermutlich auf Druck von Sauckel. Die Nazis wollen sich wohl erst
einmal überlegen, wie sie auf das Ableben ihres Führers reagieren sollen.
Man wird mir keine Illoyalität vorwerfen, wenn ich behaupte, dass die Sperre
keine vierundzwanzig Stunden hält. Wie mir mitgeteilt wurde, legt der Reichspräsident
größten Wert auf die Aufklärung des Falls, ohne Ansehen der Person. Das
preußische Innenministerium hat mich angewiesen, Sie mit den Ermittlungen
zu beauftragen.«
Es klang nicht so, als wäre Melcher begeistert von
dieser Weisung. Vermutlich hatte ein Minister oder vielleicht sogar einer
aus Hindenburgs Kamarilla letzten Monat die Lobeshymne in der Berliner
Zeitung gelesen. Ich hatte mich nicht dagegen gewehrt, als »Berlins
modernster Kriminalist« gepriesen zu werden. Aber es war Unsinn. Und die
Freude meiner Kollegen war begrenzt. »Engelbrecht zwo«, lästerte Kühlbauer
vom Einbruch in der Kantine. Und Wohlfeld hatte es mir gleich berichtet,
mit einem schlecht unterdrückten Grinsen im Vollmondgesicht.
»Sie fahren noch heute morgen mit dem Kriminalassistenten
Wohlfeld und dem Herrn Oberleutnant nach Weimar und übernehmen die Ermittlungen.«
»Eigentlich bin ich nicht zuständig.« Es rutschte
mir heraus.
Der Präsident schaute mich aus seinem traurigen Gesicht
streng an. »Aber nur eigentlich. Es ist ja nicht das erste Mal, dass wir
Kollegen auf dem Lande Hilfestellung geben. Der Reichsinnenminister hat
schon mit dem Herrn Ministerpräsidenten Sauckel telefoniert. Sagen Sie den
Herren in Weimar, wenn es ihnen nicht passt, schicken wir eine Verfügung
des Reichsinnenministers ans Staatsministerium hinterher. Oder, wenn das
nicht reicht, eine Notverordnung des Reichspräsidenten.«
Ich muss ziemlich ungläubig geguckt haben.
»Sie haben offensichtlich nicht begriffen, um was
es geht.« Melcher schaute mich mit hochgezogenen Augenbrauen an. »Wenn Hitler
tot ist, dann droht ein Bürgerkrieg. Nicht wahr, Herr Oberleutnant?«
Rickmer nickte.
Ich verstand nichts. Glücklicherweise befasste ich
mich nur mit Mördern und Leichen, nicht mit Politik.
»Es eilt. Wir dürfen uns auf keinen Fall dem Vorwurf
aussetzen, wir wollten die Sache vertuschen oder würden uns vielleicht sogar
freuen. Immerhin wollte Hitler die Macht für sich allein. Und noch etwas:
Es dürfte sogar Ihnen bekannt sein, dass der Reichsorganisationsleiter Gregor
Strasser nun der mächtigste Mann in der NSDAP ist. Er ist wohl so was wie
ein verkappter Sozi, war Hitlers Konkurrent. Und ist vermutlich der einzige,
der die Partei nun führen kann. Er verbündet sich aber lieber mit der Kommune
als mit unserem verehrten Reichskanzler von Papen oder Hugenbergs Deutschnationalen,
zumal die Thälmanns neuerdings auf national machen. Man muss kein Prophet
sein, um vorauszusagen, dass Göring und Frick, der ist ja immerhin Nazifraktionschef
im Reichstag, mit Strasser nichts am Hut haben. Goebbels wohl auch nicht,
aber der ist genausowenig ein Busenfreund von Göring. Es sieht nach Kuddelmuddel
aus in der Nazipartei und darüber hinaus. Der Bursche, der Hitler tötete,
hat eine Lunte angesteckt. Und wir müssen sie austreten, wenn nötig, gemeinsam
mit der Reichswehr.«
»Gegen Moskau haben wir nichts. Aber gegen Thälmann
und Genossen um so mehr«, warf Rickmer ein. Er sah aus, als wollte er den
Satz wieder einfangen.
Ich begriff gar nichts mehr. Der Präsident musste
es mir angesehen haben. »Das brauchen Sie jetzt nicht zu verstehen, fahren
Sie einfach nach Weimar. Sehen Sie zu, dass Sie den oder die Täter finden.
Ich tippe mal, ein kommunistischer Kellner oder so was. Vielleicht auch
eine Verschwörung der Kommune. Oder ein durchgeknallter Anarchist. Aber
ich will Ihnen da nicht hineinreden.«
»Wer soll es sonst sein, wenn nicht einer von der
Kommune?« fragte Rickmer.
Melcher schlug mit der flachen Hand auf seinen Schreibtisch, ein ausladendes
Monstrum aus dunkel gebeiztem Eichenholz. Dann stand er auf. »Meine Herren,
gute Reise!«
*
Rickmer
lief zielstrebig zum Aufzug. Er war kleiner als ich, schlank und hatte einen
geschmeidigen Gang. Ich wollte ihm meine Platzangst nicht eingestehen und
hoffte, der Schweiß trat mir nicht auf die Stirn. Der Fuß schmerzte, er
fühlte sich geschwollen an. War noch ein Splitter drin? Ich quälte mich
in den Aufzug.
»Warm hier drin«, sagte Rickmer und schaute auf meine
Stirn. Er verzog sein Knabengesicht, vielleicht wollte er Mitleid zeigen.
Ich nickte.
Am Haupteingang stand Wohlfeld. »Ich habe schon vollgetankt
und zwei Kanister in den Kofferraum gepackt. Da brauchen wir unterwegs nicht
zu tanken.« Er klang fröhlich, als wäre es ihm ein Vergnügen, mitten in
der Nacht seinen Chef aus dem Bett zu trommeln und im anbrechenden Morgen
stundenlang durch die Landschaft zu fahren.
Gestern früh hatte ich im Radio von der Wahlniederlage
der Hitlerpartei gehört. Heute war Hitler tot. Da hatte er zweimal Pech
gehabt. Es war der 8. November 1932, ein kalter und nasser Tag kündigte
sich an.