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Kontakt
Christian v. Ditfurth
Wrangelstr. 91
10997 Berlin
Tel.: (030) 65006136
Fax: (030) 96601198
E-Mail |
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Aus Rezensionen
über "Mit Blindheit geschlagen":
"Mehr als einmal
fragt sich Stachelmann, ob es nicht besser gewesen wäre, wenn ihn vor Jahren
eine anmutige Staublunge heimgeholt hätte. Das aber wäre für ihn und anspruchsvolle
Krimileser wie uns ausnehmend schmerzlich gewesen."
Die Welt
"Schnell ist man
hierzulande mit Etiketten wie 'der deutsche Mankell' bei der Hand ... Abgesehen
davon, dass sich mit dem Ditfurth-Stoff die Nächte ebenso trefflich kürzen
lassen, wird man dem Autor damit nicht gerecht. Seine Figur ist unverwechselbar."
Westdeutsche Allgemeine Zeitung
"Ein
kenntnisreich erzählter, süffig geschriebener, atmosphärisch
starker Kriminalroman"
Deutsche Welle
"Reihum glänzende
Kritiken"
Darmstädter Echo
"Mit seinem Stachelmann
hat Ditfurth der deutschen Krimiszene einen Charakter geschenkt, der sich
hoffentlich oft in den Gespinsten deutscher Vergangenheit verfängt."
Kieler Nachrichten
"Auch in seinem zweiten
Stachelmann-Krimi zeigt sich von Ditfurth als einer der besten deutschen Krimiautoren."
Max
"Dieser unfreiwillige
Ermittler und sein Autor gehören zum Besten, was die deutsche Krimilandschaft
derzeit zu bieten hat."
Nordkurier
"Der muffelige Geschichtsprofessor
ist mir irgendwie ans Herz gewachsen."
Brigitte
"Dieser Krimi ist
intelligent, mit Rückblenden und Schnitten geschickt aufgebaut und sehr, sehr
spannend."
Lübecker Nachrichten
"Was Josef Maria
Stachelmann zutage fördert, wirft ein helles Licht auf das, was bisher im
Dunkeln blieb."
Badische Zeitung
"Ausgesprochen gut
recherchiert, unterhaltsam geschrieben und spannend. ... Das Szenario erscheint
erschreckend real."
NDR Info
"Wir lesen, und sofort
werden wir in die Handlung gesogen; die Spannung steigt, ... und am Schluss
werden alle Fäden entwirrt, logisch überzeugend."
Gießener Allgemeine
"Der
wohl sympathischste und glaubwürdigste Ermittler, der derzeit auf dem deutschen
Krimimarkt zu haben ist"
amazon.de
"Das
Finale ... schreit nach Verfilmung."
Sächsische Zeitung
"Der Krimi fesselt
einen so sehr, dass man ihn gar nicht mehr aus der Hand legen möchte."
dpa
"Stachelmanns zweiter
Fall ... zeigt: Beim Krimi lohnt Umsteigen auf deutsche Autoren!"
Buchmarkt
"Dieser ungewöhnliche
Krimi besticht durch eine exzellente Dramaturgie."
Buchrezensionen online
"Eine spannende und
schlüssige ... Geschichte, wie sie nur in Deutschland spielen kann."
Kölner Stadtanzeiger
"Ein
böses Sittengemälde aus Deutschland."
Der Standard (Wien)
"Beklemmendes historisches
Kolorit"
Zofinger Tagblatt/
Mittelland-Zeitung (Schweiz)
Rezensionen
Aus Rezensionen
über "Mann ohne Makel":
"Ein packender Krimi,
der zeigt, dass deutsche Autoren mit deutschen Themen bestens gegen internationale
Konkurrenz bestehen können."
Focus
"Ein erstklassiger
Roman"
Brigitte
"Ein höchst intelligenter,
spannender und lesenswerter Krimi"
WDR 4 Radio
"Wünscht man sich
also noch mehr Fälle für Josef Maria Stachelmann."
Die Welt
"Wallander ... hinterlässt
eine schmerzende Lücke bei Krimilesern. Vielleicht aber gibt es Trost.
Der kommt aus Hamburg, heißt Josef Maria Stachelmann und ist Historiker."
NDR Fernsehen
"Vielleicht macht
gerade diese Mischung aus Menschen- und Geschichtskenntnis das Buch vom 'Mann
ohne Makel' so unterhaltsam und spannend zugleich."
WDR 2 Radio
"Virtuos verwebt"
Südkurier
"Ein deutscher Thriller
vom Feinsten"
Wilhelmshavener Zeitung
"Superspannend"
Rheinische Post
"Deutschlands Antwort
auf Henning Mankell"
playboy
"Eine packende Geschichte!"
Hamburger Abendblatt
"Lässt
... auf weitere Ermittlungen dieses auf sympathische Weise zerknitterten Historikers
in der Rolle des Amateurdetektivs hoffen."
NDR Radio 3
"Hohes Suchtpotential"
Saarbrücker Zeitung
"Spannende Krimi-Geschichte"
Hannoversche Allgemeine
"Grausam genug, dass
das spannend sein kann"
Badische Zeitung
"Angenehm ist es,
im Leben oder im Buch einen Menschen zu finden, den man auf Anhieb sowohl
interessant als auch sympathisch findet."
Sächsische Zeitung
"Mit dem
stets vom privaten und beruflichen Scheitern bedrohten Uni-Dozenten (...)
besetzt von Ditfurth eine vakante Stelle unter den literarischen Ermittlern."
Nordkurier
"Der
erste Krimi überhaupt mit einem Historiker als Detektiv"
Lübecker Nachrichten
"Kunststück bravourös
gelungen"
dpa
"Einen
Stachelmann erfindet man schließlich nicht alle Tage."
Kölner Stadt-Anzeiger
"Makellos spannendes
Werk"
Hersfelder Zeitung
"Es ist eines dieser seltenen
Bücher, bei denen man nicht nur gut unterhalten wird, sondern auch noch viel
Geschichtswissen vermittelt bekommt."
Pforzheimer Zeitung
"Eine wirklich neuartige
Figur in der Krimiwelt"
P. S.
"Vermag die Lektüre
ums bittere Erbe der Naziväter angenehm leichtgängig zu unterhalten"
Bremer
"Unnachahmlich"
Buchmarkt
Rezensionen
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Probekapitel
1.
"Ziehnse die Vorhaut zurück."
Er zog die Vorhaut zurück.
Der große, hagere Uniformierte betrachtete das Glied des Gefangenen. Dann
musste der sich nach vorn beugen und die Gesäßbacken auseinanderziehen. Der
Uniformierte beäugte den After des Gefangenen. Dann musste der sich mit dem
Gesicht an die Wand stellen. Im Augenwinkel sah der Gefangene, wie ein anderer
Uniformierter seine Kleidung durchwühlte. In einer Ecke des Raums stand ein
dritter, er war fett. Er beobachtete. Alle hatten sie Knüppel am Gürtel und
auf der anderen Seite ein Pistolenhalfter. Der Hagere gab dem Gefangenen einen
Stapel. Darin ein grauer Trainingsanzug, Unterwäsche, Handtücher, blauweißes
Bettzeug, obenauf Becher, Teller und Hausschuhe. Er befahl dem Gefangenen,
sich anzuziehen. Der Gefangene zog den Trainingsanzug an. Er war verschlissen,
die Hose rutschte.
Ein vierter
Uniformierter betrat den Raum. Er sagte zum Gefangenen: "Gehnse!"
Er zeigte die Richtung an. Sie stiegen Treppen hinauf und hinunter und kamen
in einen Gang mit vielen Türen und ohne Fenster. Flecken auf dem Betonboden,
an der Decke Neonleuchten, eine flimmerte. An manchen Stellen waren Linien
auf dem Boden gezeichnet. Dort musste der Gefangene warten. "Gesicht
zur Wand, Hände auf den Rücken!" Der Wächter schaute um die Ecke, dann
drehte er an einem Schalter. Das grüne Licht an den Wänden ging aus, rote
Lampen leuchteten auf. Sie liefen weiter. "Halt!" Er öffnete eine
Tür, der Gefangene erschrak, als er in den Raum blickte. Er wurde hinein geschoben,
die Tür fiel zu. Der Raum war klein, die Wände waren aus Beton, statt eines
Fensters waren wenige Glasbausteine hochgemauert. Über der Tür brannte hinter
einem in die Wand eingelassenen matten Glas eine Glühbirne. An einer Seite
standen eine Holzpritsche mit erhöhtem Kopfteil, an einer anderen ein Klapptisch
und ein Stuhl, in einer Ecke ein Porzellan-WC.
Er setzte
sich auf die Pritsche und starrte an die Wand. Eine braune Linie zog sich
knapp in Bauchhöhe an der Wand entlang, zwei Finger breit. Darüber war die
Wand ocker, darunter schmutzigweiß gestrichen. Der Gefangene stützte die Ellbogen
auf die Knie und legte sein Gesicht in die Hände. Er merkte, dass er den Kopf
schüttelte. Dann dachte er, das ist ein Irrtum. Sie wissen nichts. Du bist
spazieren gegangen, sonst nichts. Wer kann etwas dagegen haben, dass einer
spazieren geht? Sie müssen dich wieder raus lassen.
Schritte auf
dem Gang. Riegel klackten, Türgeknarre, alle Geräusche gedämpft durch die
schwere graue Tür. Im Guckloch erschien eine Pupille, sie verschwand gleich
wieder. Nasse Kälte kroch dem Gefangenen die Beine hoch.
2.
Er schimpfte vor sich hin.
Obwohl er aufgepasst hatte, verfehlte er den Abzweig, überraschend war das
Schild nach der Kreuzung aufgetaucht. Er kam sich vor wie ein Fremder, dabei
hatte er mehr als die Hälfte seiner Schulzeit hier verbracht. Aber auf dem
Waldfriedhof war er nie gewesen. Stachelmann bog rechts ab in eine Seitenstraße
mit Einfamilienhäusern, fuhr zweimal rechts und war zurück auf der Straße
nach Reinbek. Dort fuhr er links und erreichte gleich wieder die Kreuzung.
Wieder zu weit, diesmal aus der anderen Richtung. Er hätte geradeaus fahren
müssen, als er wieder an der Durchgangsstraße stand. Er schlug mit der Hand
aufs Lenkrad und spürte den Schweiß unter den Achseln. Zuvor hatte er fast
eine Stunde im Stau verbracht auf der Autobahn zwischen Reinfeld und Bad Oldesloe.
Er kam zu spät zur Beerdigung seines Vaters.
Auf dem Parkplatz
neben dem Friedhof standen nur wenige Autos. Er stellte seinen alten Golf
in die Nähe des Gittertors. Noch im Auto sah er die Kapelle, sie leuchtete
weiß. Er ging durch das Tor, vorbei an einem Betonturm, in dem eine Glocke
hing. Eisiger Wind ließ ihn frösteln. Der Eingang der Kapelle lag zwischen
zwei grau lackierten Stahlsäulen, die das Spitzdach der Kapelle stützten.
Stachelmann öffnete die Holztür und sah den Geistlichen auf der Kanzel. In
den ersten drei Reihen saßen verstreut ein paar Leute, zwei oder drei schauten
sich um nach ihm. Er las Unverständnis in den Blicken. Auf dem Stuhl am Gang
in der ersten Reihe saß eine Frau, ganz in Schwarz. Das war seine Mutter.
Sie war klein und dünn. Der Platz neben ihr war frei. Stachelmann hörte, dass
der Pfarrer sprach, aber er verstand ihn nicht. Er setzte sich neben seine
Mutter, die schaute irgendwo auf den Boden. Stachelmann schlug seine Beine
übereinander und faltete seine Hände auf dem Knie. Da legte seine Mutter die
Hand auf seine und drückte sie kurz. Er schaute nach vorn und nahm erst jetzt
den Sarg wahr. Der war bedeckt mit Kränzen und Schleifen. "In Dankbarkeit"
stand auf der Schleife des Polizeisportvereins.
Plötzlich
war es still. Der Pfarrer verließ die Kanzel. Dann erklang im Hintergrund
Musik, ein Largo-Satz aus einem Violinkonzert von Vivaldi. Sein Vater hatte
es geliebt und in der Interpretation von Yehudi Menuhin und dem Polnischen
Kammerorchester oft gehört. Stachelmann fiel ein, wie sein Vater früher die
Platte an manchem Abend auf den Dualplattenspieler gelegt und andächtig gelauscht
hatte. Dann mussten alle ruhig sein, während der Vater mit halb geschlossenen
Augen hörte und sein Körper kaum sichtbar mitschwang.
Als das Stück
beendet war, ging der Pfarrer zur Tür, die Mutter stand auf, Stachelmann folgte
ihr. Vier Männer in dunkelgrauer Kluft schleppten den Sarg hinaus. Draußen
formte sich der Zug. Der Pfarrer, die Mutter und Stachelmann folgten dem Sarg.
Dem voran schritt ein Junge mit einem Kreuz. Die Trauergäste bildeten den
Abschluss. Sie liefen auf einem Weg aus Erde, Sand und Kiesel, vorbei an parzellenförmig
geordneten Gräbern unter Bäumen mit mächtigen Kronen. Manchmal durchbrachen
Sonnenstrahlen die schweren Wolken, dann glänzte die Nässe auf den Grabsteinen.
Stachelmann wartete auf die Schmerzen, sie würden kommen, das war gewiss.
Er tastete die Knöpfe seines Mantels ab, um sich zu vergewissern, dass sie
geschlossen waren. Er fror am Hals, den Schal hatte er vergessen.
Der Zug hielt
am Rand des Friedhofs, an einem weißen Grabstein. Daneben war eine Grube ausgeschachtet,
zwei Schaufeln lehnten am Zaun. Die Träger stellten den Sarg ab neben der
Grube. Der Pfarrer sprach von Asche und Erde, Stachelmann betrachtete den
weißen Stein des Nachbargrabs. Er sah aus wie ein Hinkelstein, lief oben spitz
zu. Darauf eingraviert in Versalien: Will, Adolf H.; gest. 15. Nov. 2001;
geb. 22. April 1954. Was hieß "H."? Helmut, Heinz, Hans? Da hatten
Eltern ihren Sohn Adolf H. getauft, neun Jahre nach Ende des Kriegs. Der Sohn
war vor genau zwölf Monaten gestorben, und Stachelmanns Vater würde neben
ihm begraben sein. So würde Stachelmann auf Adolf H. treffen, wenn er das
Grab seines Vaters besuchte. Aber das war noch nicht ausgemacht.
Während der
Pfarrer sprach, fiel Stachelmann das letzte Gespräch mit seinem Vater ein.
Das war zwei Jahre her. Sie hatten sich gestritten über die Lebenslüge seines
Vaters, der Ende des Kriegs als Postbeamter Hilfspolizist wurde, um ein Bombenräumkommando
aus Sträflingen zu bewachen. Er sah immer noch die Verbitterung in den Augen
des Vaters. Seit dem Gespräch hatte Stachelmann nicht mehr mit ihm geredet.
Nun wartete er auf das schlechte Gewissen; wenn einer tot ist, kann man nichts
nachholen. Aber das schlechte Gewissen rührte sich nicht.
Seine Mutter
stieß ihn leicht am Arm. Stachelmann schaute auf und sah, der Pfarrer hat
seine Ansprache beendet, die Träger senkten den Eichensarg an Seilen ins Grab.
Als der Sarg abgestellt war, traten die Mutter und Stachelmann an den Rand
der Grube. In einem Erdhaufen steckte eine kleine Schaufel. Die Mutter nahm
sie, hob ein bisschen Erde vom Haufen und warf sie auf den Sarg. Stachelmann
tat es ihr nach. Dann stellten beide sich ein Stück seitlich von der Grube
auf und warteten auf die Trauergäste. Ein alter Mann warf Erde ins Grab, dann
steckte er die Schaufel wieder in den Haufen und näherte sich der Mutter und
Stachelmann. Der Mann gab der Mutter die Hand und murmelte etwas von Beileid,
dann gab er Stachelmann die Hand. Stachelmann begegnete einem harten Blick,
Hass steckte darin. Ein Paar näherte sich, sie hinkte, er ging am Stock. Auch
sie drückten der Mutter die Hand, an Stachelmann gingen sie vorbei. Die Mutter
warf einen kurzen Blick zu ihrem Sohn, sie schien mit den Achseln zu zucken.
Eine Träne stand ihr im Augenwinkel. Von den verbleibenden Trauergästen verweigerte
niemand mehr Stachelmann den Händedruck, aber freundlich schaute ihn keiner
an.
Als der Letzte
auf dem Weg zum Parkplatz war, fragte Stachelmann die Mutter: "Wer sind
diese Leute?"
"Freunde
deines Vaters."
"Aus
dem PSV?"
"Auch."
Mitglied im
Polizeisportverein war auch Hermann Holler gewesen, erst SS-Sturmbannführer,
dann Makler. Wegen seiner Verbrechen in der Nazizeit waren die Frau und die
Kinder seines Sohns Maximilian ermordet worden, Jahrzehnte danach. Stachelmann
war zufällig verwickelt worden in diesen Fall, hatte den Mörder überführt
und den alten Holler gestellt, der den eigenen Tod simulierte, um unterzutauchen.
Der Jude Leopold Kohn hatte sich gerächt. Hermann Holler hatte Kohns Familie
ermorden lassen und deren Besitz geraubt. Die Lokalpresse überschlug sich,
ein Historiker hatte die schrecklichste Mordserie seit dem Krieg aufgeklärt
und die Polizei schlecht aussehen lassen. Es war erstaunlich, was die Medien
Stachelmann andichteten, wo sie ihn doch nicht kannten und er mit keinem Journalisten
sprach. Dann fanden sie eine andere Sensation und ließen ab von Stachelmann.
Dessen Vater hatte den alten Holler gekannt, und die Trauergäste hassten Stachelmann,
weil er ihre Vergangenheit ans Licht gezogen hatte. Die Polizei hatte nicht
nur den Verkehr geregelt in der Nazizeit, ohne sie wären Ausplünderung, Deportation
und der große Mord nicht möglich gewesen. Die alten Kameraden des Vaters im
Polizeisportverein hatten Grund, Stachelmann zu hassen.
"Du musst
nicht mit zum Leichenschmaus", sagte die Mutter, als sie an dem Glockenturm
aus Beton vorbeiliefen.
Stachelmann
nickte.
"Aber
du musst mich bald besuchen. Wenn das vorbei ist."
Stachelmann
gab der Mutter die Hand. Sie hielt sich gerade, streckte ihr Kreuz, als wollte
sie sich wehren gegen die Last. Dann ging er mit schnellen Schritten zu seinem
Auto und fuhr los. Er drehte sich nicht um. Unterwegs überlegte er, wann die
Trauer käme. Er spürte nichts, vermisste seinen Vater nicht, Wehmut fühlte
er nur, wenn er an Episoden dachte, die weit zurück lagen. Spiele mit dem
Vater in der Kindheit. Der Vater als Helfer, wenn es Ärger gab in der Schule.
Geburtstags- und Weihnachtsgeschenke. Stachelmann war ein behütetes Kind gewesen,
der Zwist kam später, zu spät, Stachelmann hätte den Vater früher fragen müssen.
Ihr letztes Gespräch fiel ihm ein, als der Vater berichtete und doch nur Unverständnis
erwartete. Die Behörden hätten ihn in den letzten Monaten des Kriegs an einen
Platz gestellt, und er habe seine Pflicht getan, wie jeder andere Deutsche
auch. Er hatte die Sträflinge nicht verhaftet und nicht abkommandiert zum
Bombenräumen. Er passte auf sie auf, und wenn einer weg lief, fing er ihn
wieder ein. Es war Krieg; einer, der nicht dabei war, kann das nicht verstehen.
An der Universität
warteten Hausarbeiten von Teilnehmern seines Hauptseminars. Er hätte längst
beginnen müssen mit der Korrektur, aber sie langweilte ihn. Je länger er sie
hinausschob, desto stärker wurde der Druck. Es war immer so. Am Abend gab
es bei Bohming den Empfang für den neuen Kollegen aus Berlin, Zeit genug,
ein paar Arbeiten zu lesen und zu benoten. Stachelmann setzte sich auf den
Schreibtischstuhl und lehnte sich zurück. An Holler hatte er schon lange nicht
mehr gedacht, jetzt kehrte die Erinnerung zurück. Was wohl Holler junior trieb?
Er spielte mit dem Gedanken, Ossi anzurufen, seinen Freund aus Studientagen,
der bei der Hamburger Kripo arbeitete. Der wusste gewiss, was Maximilian Holler
tat. Mit Ossi Winter hatte er schon lange nicht mehr gesprochen, sie hatten
sich gestritten bei den Ermittlungen und den Streit danach nicht ausgeräumt.
Er wusste nicht mehr genau, um was es gegangen war.
Er wollte
über all das nicht mehr nachdenken, und das war ihm einigermaßen gelungen
bis zur Beerdigung des Vaters. Wenn er an den Fall Holler dachte, fiel ihm
die Zeit mit Anne ein. Anne, die ihn enttäuscht hatte und von der er manchmal
zu wissen glaubte, sie dachte ähnlich über ihn. Auch wenn er nicht wusste,
warum sie so denken sollte. Er hatte Abwehrkräfte entwickelt, gelernt, sachlich
mit ihr umzugehen, guten Tag zu sagen und tschüss und ihr aus dem Weg zu gehen,
wenn es möglich war. Er hatte sich darin eingerichtet. Anfangs schaute sie
ihn manchmal traurig an, als wollte sie ihn auffordern, mehr zu sagen. Aber
dann überzeugte er sich, er bilde es sich nur ein. Ein paar Mal hätte er sie
fast angesprochen, aber er wusste nicht, was sie erwartete. Und dann war sie
eines Tages schwanger gewesen von einem anderen. Als er es hörte, betrank
er sich und erschien am nächsten Tag nicht im Philosophenturm.
Er griff nach
einer Hausarbeit, sie schilderte die Einführung der Reichsfluchtsteuer in
der Weimarer Republik. Diese Steuer diente der Devisenbewirtschaftung in der
Weltwirtschaftskrise und wurde später eine der schärfsten Waffen der Nazis,
als die daran gingen, die Juden auszurauben. Er las zwei, drei Seiten und
schob die Arbeit wieder weg. Sie war nicht schlecht, aber nicht originell.
Zusammengeschrieben aus Büchern, viele Zitate. Er war ungerecht, er wusste
es. Er verlangte zu viel von seinen Studenten und machte sie verantwortlich
für seine Langeweile.
Es klopfte,
er dachte an Anne und ärgerte sich. Es war Renate Breuer, die Sekretärin des
Historischen Seminars. "Sie denken an den Empfang?", fragte sie.
Er nickte,
Renate Breuer schloss die Tür, nachdem sie ihn einen Augenblick unfreundlich
angestarrt hatte. Stachelmann zog die Hausarbeit wieder vor sich, blätterte
und schob sie wieder weg. Er verschränkte die Hände hinterm Nacken und rollte
mit dem Stuhl ein Stück weg vom Schreibtisch. Dann stand er auf und schaute
hinunter auf den Trubel des Von-Melle-Parks. Natürlich dachte er an den Empfang.
Professor Wolf Griesbach trat seinen Dienst an, einer, der es fast schon geschafft
hatte. Besser C 3 als gar nicht habilitiert. Stachelmann kannte einige Veröffentlichungen
des Neuen, auch der beschäftigte sich mit dem Nationalsozialismus. Als Professor
ohne Lehrstuhl besaß er alles, was einer haben musste, der eines Tages Hasso
Bohming nachfolgen würde, dem Sagenhaften, wie er am Seminar genannt wurde,
weil er so blumig berichtete von seiner Beteiligung an all den Historikerschlachten.
Er war ein Angeber, aber kein schlechter Kerl. Einer, der es gut meinte mit
Stachelmann und doch Griesbach geholt hatte aus Berlin. Stachelmann nahm sich
vor, kein schlechtes Wort zu sagen über den Neuen. Griesbach war offenbar
gründlich und zurückhaltend, hatte ein gutes Urteilsvermögen, das musste er
einräumen. Der hatte erreicht, was Stachelmann anstrebte. Stachelmann erinnerte
sich an einen Aufsatz Griesbachs in den Vierteljahresheften für Zeitgeschichte,
der ihn beeindruckt hatte. Neid keimte in ihm, er mühte sich, ihn wegzuwischen.
Ganz gelang es nicht. Er stritt mit sich, erklärte sich seinen Neid mit dem
eigenen Versagen. Warum hatten es andere einfacher? Weil du es dir selbst
schwer machst. Dann fiel ihm die Beerdigung wieder ein. Was bist du für ein
Mensch? Dein Vater wurde gerade beerdigt, und du denkst nur an dich. Die Trauer
ließ sich immer noch nicht blicken. Vielleicht lag es daran, dass er seinen
Vater schon vor zwei Jahren verloren hatte.
Als er in
Bohmings Dienstzimmer kam, waren die anderen schon da. Ostermann, zurzeit
Bohmings Lieblingsassi, machte mit Witz auf Kellner. Er hatte sich einen devoten
Blick zugelegt und verbeugte sich pausenlos. Mit gespielter Eleganz jonglierte
er mit einem Tablett, Sekt und Orangensaft, an der Wand waren auf einem langen
Tisch Schnittchen mit Fleisch und Fisch ausgelegt, der Neue gab sich spendabel.
Stachelmann entdeckte einen Mann, der dem Eingang den Rücken zukehrte, das
musste Griesbach sein. Er stand vor Bohming, und der hörte zu. Neben Griesbach
sah Stachelmann eine schlanke Frau mit dunkelbraunen Haaren, einem kurzen
Rock und langen Beinen. Sie verfolgte das Gespräch zwischen Griesbach und
dem Sagenhaften. Stachelmann kannte sie nicht. In einer Ecke entdeckte er
Anne im Gespräch mit dem schönen Kugler, der sich mal wieder eingeschlichen
hatte von den Politologen, wo er hingehörte und, ging es nach Stachelmann,
hätte bleiben sollen. Rolf Kugler war immer auf der Suche nach Frauen, alle
witzelten darüber. Kugler kümmerte es nicht und widmete sich seiner Mission
mit erstaunlichem Erfolg. Stachelmann ärgerte sich, dass Anne mit ihm sprach.
Er schaute weg, aber nicht schnell genug, um nicht einen Blick von ihr einzufangen.
Er hatte ihren dicken Bauch gesehen. Er hatte sich gemartert, wer der Vater
sei, es aber nicht gewagt, jemanden zu fragen. Sie hatte eines Tages Renate
Breuer erzählt, sie sei schwanger, und die Sekretärin hatte es herumgetratscht.
Wenn man wollte, dass etwas bekannt wurde, musste man es Renate Breuer erzählen.
Plötzlich
stand Ostermann vor ihm mit seinem Tablett. "Herr Historienrat wollen
doch nicht verdursten an einem so wunderbaren Tag", sagte er. Stachelmann
nahm einen Orangensaft und wusste nicht, wohin er sich stellen sollte.
Da winkte
Bohming plötzlich, rief: "Josef, komm mal her!" Er winkte noch einmal.
Stachelmann
stellte sich zu der Gruppe.
"Das
ist Josef Maria Stachelmann, nicht nur ein ausgezeichneter Kollege, sondern
auch so eine Art Detektiv", sagte Bohming mit Öl in der Stimme.
Stachelmann
winkte ab.
"Ich
habe davon gehört", sagte Griesbach. Er hatte eine sympathische Stimme.
Und er sah gut aus. Beides ärgerte Stachelmann, und es ärgerte ihn noch mehr,
dass es ihn ärgerte.
"Reiner
Zufall", sagte Stachelmann, "und schon zwei Jahre her."
"Das
ist meine Frau Ines", sagte Griesbach. "Sie ist Kollegin, wenn zurzeit
auch ohne Anstellung, oder sollte man besser sagen, Zeitvertrag."
Ines lächelte
ihn aus braunen Augen an. Sie hatte einen festen Händedruck. Als Stachelmann
mit dem Kopf nickte, blieben seine Augen an ihrer Bluse hängen. Sie trug keinen
Büstenhalter, die Brustwarzen ragten hervor. Dann merkte er, seine Augen waren
einige Augenblicke zu lang hängen geblieben, er schaute auf und spürte, wie
er errötete. Sie strahlte ihn an. In ihrem Blick lag ein Einverständnis.
"Auch
ich habe von Ihnen gehört. Vor allem, dass Sie ein Tiefstapler sein sollen."
Sie lachte und warf den Kopf nach hinten.
"Mit
dem Transportwesen habe ich nun wirklich nichts zu tun, auch wenn ich mich
mal in etwas eingemischt habe, das mich nichts anging. Genauer gesagt, ich
wurde eingemischt." Er sah im Augenwinkel Horst Lehmann das Zimmer betreten.
"Entschuldigen Sie bitte, da kommt der Kollege Lehmann, mit dem muss
ich dringend etwas besprechen."
"Nur
wenn sie schwören, dass Sie wiederkommen", sagte sie leise.
Es berührte
ihn. Als er ging, sah er, dass Wolf Griesbachs Augen ihm folgten. Stachelmann
glaubte, eine Frage darin zu lesen. Er wechselte ein paar Worte mit Lehmann
und ging dann zur Toilette. Dort schaute er in den Spiegel. Er fand sich älter
als dreiundvierzig Jahre und hässlich. Die Stirnglatze glänzte, die verbliebenen
Haare waren zu früh ergraut. Der Bauchansatz wölbte das Hemd über dem Gürtel.
Was konnte eine Frau finden an ihm? Er wusch sich die Hände und ging in sein
Dienstzimmer. Was für ein Tag. Am Mittag den Vater beerdigt, am Nachmittag
gefaulenzt, dann ein Bild eingesammelt von einer Frau, von dem er wusste,
er würde es eine Weile mit sich tragen.
Er setzte
sich wieder an den Schreibtisch. Dann kam der Schmerz, er kroch über die Beine
nach oben. Stachelmann streckte den Rücken und durchsuchte seine Taschen nach
einer Tablette. In der Jacketttasche fand er eine Diclofenac, er schluckte
sie trocken. Es klopfte an der Tür, sie öffnete sich, ohne dass er etwas gesagt
hatte. Griesbach guckte durch den Spalt. "Viel zu tun?", fragte
er.
Stachelmann
nickte, er hatte einen Kloß im Hals. Er hatte sich verdrückt vom Empfang,
das war ihm peinlich.
Griesbach
blieb in der Tür stehen. "Vielleicht verraten Sie mir demnächst die Geheimnisse?"
"Geheimnisse?"
"Was
man hier wissen muss als Neuer. Damit ich nicht in Fettnäpfchen tappe. Das
ist gewissermaßen mein Steckenpferd, Sie verstehen?"
Stachelmann
musste grinsen. "Dann sind Sie auf diesem Gebiet mein schärfster Konkurrent.
Es gibt kein Fettnäpfchen im Philosophenturm, in dem Sie nicht schon Fußabdrücke
von mir finden. Kommen Sie rein!" Stachelmann zeigte auf den Stuhl vor
seinem Schreibtisch.
"Was
macht Ihre Habil?", fragte Griesbach.
Stachelmann
änderte seine Sitzposition, um dem Schmerz auszuweichen. "So genau weiß
ich das selbst nicht." Er hatte den Berg der Schande aufgelöst, die Aktenstapel,
die gewachsen waren, um Stachelmann noch mehr abzuschrecken. Als er nach Hermann
Hollers Hinterlassenschaft in Naziakten suchte, hatte er gemeinsam mit Anne
den Berg abgetragen. Inzwischen war der Entwurf seiner Habilitationsschrift
zur Geschichte des Konzentrationslagers Buchenwald fertig, die Datei lag auf
der Festplatte seines Computers, und er fürchtete sich vor dem, was er geschrieben
hatte. Er hatte eine Vorstellung, was er schreiben wollte, aber als es geschrieben
war, schien es seinem Maßstab nicht zu entsprechen. Ob die Arbeit schlecht
war oder sich seine Ansprüche verändert hatten, er wusste es nicht. Aber er
wusste, der Entwurf legte ihn fest, noch einmal würde er es nicht schaffen,
eine neue Arbeit war nicht vorstellbar, und so musste er den Entwurf verbessern
und fürchten, dass er am Ende nicht zufrieden sein würde. Es half nichts,
dass er sich einredete, er sei noch nie zufrieden gewesen mit sich und dem,
was er schrieb. Warum sollte es diesmal anders sein? Doch seine Sorgen gingen
den anderen nichts an.
"Bohming
hält ja große Stücke auf Sie", sagte Griesbach. "Große Stücke."
Stachelmann
stellte sich vor, wie Griesbach seiner Frau die Bluse auszog. "Er übertreibt
gerne ein bisschen." Griesbach hatte volles schwarzes Haar, war drahtig,
trug eine leichte Brille mit Tönung. Er trieb Sport, das verrieten sein Aussehen
und sein Auftreten. Stachelmann fühlte sich noch hässlicher.
Griesbach
grinste. "Sie denken da an seinen Durchbruch im Historikerstreit?"
Stachelmann
musste lachen. "Ihr geheimes Spezialgebiet ist offenbar die Militärgeschichte."
"Gewiss,
aber nur solange es um das Gemetzel unter Kollegen geht. Und Kolleginnen natürlich."
"Denken
Sie da an Ihre Frau?" Es rutschte Stachelmann heraus.
Griesbach
lachte. Er hatte ein offenes Lachen. "Die darf zurzeit nicht Mitmetzeln.
Hat sich an der FU, dann an der Humboldt von Zeitvertrag zu Zeitvertrag gehangelt.
Aber mit einer Festanstellung wurde es nie etwas. Dabei ist sie spezialisiert
auf die SED, man sollte doch denken, dafür gebe es Bedarf. Aber Berlin ist
pleite."
"Dann
ist sie jetzt arbeitslos. Haben Sie Kinder?"
Griesbach
schüttelte den Kopf. "Die sind nicht Freizeit-kompatibel." Er lachte.
"Wir reisen gerne und treiben Sport. Aber das ist natürlich nicht so
aufregend wie das, was Sie erlebt haben. Bohming hat mir einiges erzählt.
Ich weiß natürlich nicht, ob das alles stimmt. Darf ich Sie mal einladen,
meine Frau würde sich auch freuen. Dann müssen Sie uns aber etwas von dieser
Holler-Geschichte erzählen."
Stachelmann
sah sich in der Erinnerung mit Anne in seinem Dienstzimmer, wie sie die Akten
filzten. "Ich hatte gehofft, es sei vorbei."
Griesbach
schaute ihn erschrocken an. "Tut mir Leid, ich wollte nicht aufdringlich
sein." Er erhob sich. "Aber die Einladung steht, über einen Termin
sprechen wir noch. Und wenn Sie keine Lust haben, von Ihren Abenteuern zu
berichten, dann reden wir über was anderes." Er winkte Stachelmann freundlich
zu und verließ den Raum.
Stachelmann
starrte auf die geschlossene Tür. Es schien ihm, als hätte nichts von dem,
was er tat und dachte, einen Sinn. Ihm fielen die alten Leute auf der Beerdigung
ein, ihr Hass. Sie trugen die gleiche Lüge mit sich herum wie der Vater. Wir
sind nicht Schuld, wir haben nur Befehle befolgt, es war unsere Pflicht. Stachelmann
überlegte, was geschehen wäre, wenn sein Vater früher darüber gesprochen hätte,
von sich aus. Es hätte ihre Beziehung früher zerstört. Ihre beiden Wahrheiten
waren nicht zu versöhnen und nicht zu widerlegen. Sie überlappten sich nirgendwo.
Ihr Streit hatte sie nicht weiter gebracht, sein Vater begriff ihn nicht,
so, wie er den Vater nicht begriff. Er spürte einen Anflug von Reue. Warum
hatte er den Vater bedrängt? Der hätte die Lüge mit ins Grab nehmen können,
niemandem hätte es geschadet, und gemessen an den Naziverbrechern, gehörte
der Vater zu den kleinen Rädchen im Mordgetriebe. Stachelmann überlegte, ob
er ungerecht gewesen war. Es wäre nicht mehr gutzumachen. Wenn er nach dem
letzten Gespräch an den Vater gedacht hatte, dann im Zorn über die Halsstarrigkeit
des Alten.
Da fielen
ihm die Spaziergänge im Sachsenwald ein, er mit seinem Vater. Er löcherte
ihn mit Fragen. Wie groß ist der Mond? Warum wird man schneller müde, wenn
man schneller läuft, als wenn man dieselbe Strecke langsam zurücklegt? Warum
ist der Himmel blau und nicht rot? Und vielleicht waren es Vaters Geschichten
über den Alten von Friedrichsruh im Sachsenwald, den der Kaiser Wilhelm zwo
aus dem Amt warf und damit Deutschlands Untergang einleitete. Bismarck war
Vaters Held, und eine Weile hielt ihn der Sohn für einen Riesen, der jeden
Augenblick im Wald vor ihnen stehen konnte. Im Sachsenwald setzte der Vater
die Wurzel für die Geschichtsneugier des Sohns, auch wenn sich die zunächst
auf Helden richtete, wie Bismarck einer war oder Schlieffen, der ältere Moltke
und Hindenburg. Es dauerte seine Zeit, bis Stachelmann das Reich der Helden
verließ, in den Träumen war er daraus nie ganz verschwunden.
Vielleicht
begann er erst mit dem Tod des Vaters zu verstehen, wie der ihn auf einen
Weg geführt hatte, ohne führen zu wollen. Als Stachelmann die Quarta besuchte,
erklärte er seinem Vater, er wolle später Historiker werden. Der Vater legte
die Zeitung weg und lächelte, wie er über die vorherigen Berufswünsche gelächelt
hatte. Als Stachelmann die Bilder sah, spürte er einen Kloß in der Kehle.
***
Immer wenn er draußen Schritte
hörte, hielt er den Atem an, um vorbereitet zu sein. Aber immer entfernten
sich die Schritte wieder, ohne dass jemand die Tür oder die Klappe öffnete;
es schien, als hätten sie ihn vergessen. Ab und zu klickte es an der Tür.
Unvorbereitet, er hatte niemanden kommen gehört. Er wusste nicht mehr, seit
wann er in der Betonhöhle saß. Irgendwann schlief er ein. Es knallte metallisch
an der Tür. "Aufstehen!" Ein Wärter schlug sein schweres Schlüsselbund
von außen gegen das Schloss. Der Gefangene setzte sich auf und starrte an
die Wand. Alles verschwamm ihm vor den Augen. Er folgte der Linie, die das
Ocker trennte vom Schmutzigweißen. Er begriff nicht, was mit ihm geschah.
Gestern früh hatten sie ihn aus dem Bett geklingelt, sie waren zu zweit. Sie
durchwühlten die Wohnung, packten Papiere aus seinem Schreibtisch in eine
Kiste. Als er fragte, was sie täten, antwortete einer: "Sie reden nur,
wenn Sie gefragt werden." Nachdem die Suche beendet war, erklärte der
Mann: "Wir nehmen Sie mit zur Klärung eines Sachverhalts." Dann
zwangen sie ihn, sich anzuziehen, und legten ihm Handschellen an. Auf der
Straße begegnete ihnen eine Nachbarin, sie hatte bisher freundlich gegrüßt,
jetzt drehte sie sich weg. Im Auto wartete ein Fahrer. Um was es gehe, fragte
der Gefangene, als das Auto losfuhr. "Das wissen Sie genau!", schnauzte
ihn der Mann an, der neben ihm saß. "Seien Sie ruhig!" Sie zwangen
ihn, sich nach vorne zu beugen, dann legten sie eine Decke über ihn. Sie fuhren
eine Weile, dann hielt der Wagen. Die Decke wurde weggezogen. "Aussteigen!"
Dann durchsuchten sie ihn, gaben ihm Wäsche und Geschirr und sperrten ihn
in die Betonzelle.
Irgendwann
verlor er das Zeitgefühl, immer brannte das Licht. Er fand keinen Rhythmus
in den Schritten auf dem Gang. Der Hunger meldete sich. Er stand auf und klopfte
gegen die Tür. Er wartete, nichts geschah. Er klopfte wieder. Nichts. Dann
näherten sich Schritte, er klopfte. Die Schritte entfernten sich wieder.
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