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Wärmestube
PDS
Christian von Ditfurth beschreibt die Milieupartei, die aus dem Osten kam
und im Osten geblieben ist. Bei den Mitgliedern dominiert Abwehr
Es ist offenbar
nicht zusammengewachsen, was vielleicht zusammengehört hätte. Achteinhalb
Jahre nach dem Sonderparteitag der SED, der im Dezember 1989 zu deren Umbenennung
in SED- PDS und zum erklärten Bruch mit dem Stalinismus führte,
resümiert der Autor Christian von Ditfurth: "So wie sie ist, ist
die PDS keine Partei für Menschen, die in der Bundesrepublik linke Politik
machen wollen. Aber die PDS ist die einzige linkssozialistische Partei in
Deutschland." Das Projekt PDS, fährt Ditfurth in seinem jetzt erschienen
Buch "Ostalgie oder linke Alternative - meine Reise durch die PDS"
fort, "ist gescheitert."
Das Projekt also gescheitert, die Partei dennoch die stärkste im Osten
Deutschlands? Ditfurth treibt den Widerspruch noch weiter: "Die PDS wird
nicht zerbrechen: Sie wird statt dessen weitere Wahlerfolge erzielen. Und
sie wird über kurz oder lang auch in einer ostdeutschen Landesregierung
sitzen." (S.270) Freuen will sich der Autor, der seit Wendezeiten immer
wieder durch die verschiedenen PDS-Parteigliederungen, PDS-nahen Verbände
und die diversen Plattformen in der PDS getingelt ist, darüber aber nicht.
Zwar gebe es mittlerweile in der PDS "demokratische Sozialisten, aber
sie sind ideologisch in der Minderzahl. Sie geben zwar politisch nach außen
den Ton an, aber dies nur, weil die Traditionalisten keine Strategie haben
und auch wissen, daß die Partei und damit sie auch schlagartig an Bedeutung
verlören, wenn sie die Reformer aus der Führung vertrieben."
(S.270)
Die Aufarbeitung der SED-Geschichte - für Christian von Ditfurth schlicht
gescheitert. Unter den verbliebenen rund 100.000 Mitglieder dominiert ihm
zufolge der Blick zurück im Zorn, der "antistalinistische Grundkonsens"
ist demnach zwischenzeitlich wieder aufgeweicht und das moderne Erscheinungsbild
nicht mehr als eine trügerische Fassade. Die Partei, so die fast schon
bittere Aussage, "hat sich nicht erneuert, sie leistet sich Erneuerer
in der Führung. Sie leistet sich einen demokratischen Sozialismus, den
an der Basis kaum einer kennt oder kennen will." Zur Haltung der überwiegenden
Mehrheit in der PDS zitiert Ditfurth den Göttinger Politologen Tobias
Dürr: "Die DDR als Lebensgefühl ist ihr Hort, die PDS ihre
Wärmestube." (S.273)
Wer einem Unrechtsstaat gedient habe, "steht schlechter da als einer,
der im Geiste der Geschichte handelte. Außerdem empfinden viele PDS-Mitglieder
inklusive des Parteivorstandes die Prozesse gegen Mauerschützen, DDR-Richter
und Politbürokraten als Herabsetzung aller DDR- Bürger." (S.80)
Faktor Heimat nennt Ditfurth das.
Den Stalinismus verortet Ditfurth im Grunde genommen nur bei einem Bruchteil
der Parteimitglieder. Ausgemacht hat er ihn vor allem in der Kommunistischen
Plattform und im Marxistischen Forum: "Was der KPF nicht gelungen ist,
hat das Forum binnen kürzester Zeit geschafft: Themen in der Partei zu
besetzen und deren Interpretation für die PDS verbindlich zu machen.
Das gilt besonders für die juristische Rechtfertigung der DDR. Was die
historische Legitimität des SED-Staats angeht, gibt es in der
PDS schon seit ihrer Gründung eine umfassende Übereinstimmung aller
politischen Flügel." (S.81)
An der Basis habe sich die Argumentation durchgesetzt, "daß man
von nichts gewußt habe (erstens), daß die Diktatur - ja, auch
Stalin - nicht nur Schlechtes geschaffen habe (zweitens), daß man früher
unbehelligt auf der Straße gehen konnte (drittens), daß die 'anderen'
auch Verbrechen begangen hätten (viertens) und daß endlich Schluß
sein müsse mit der Erinnerung an die Vergangenheit (fünftens)."
(S.148)
Beispielhaft führt Ditfurth zum Beleg seiner Aussagen die parteiinterne
Auseinandersetzung um die inhaltliche Erneuerung der PDS an. "Zehn Thesen
zum weiteren Weg der PDS" hatte der Vorstand im Januar 1995 als Diskussionsgrundlage
für den 4. Parteitag unterbreitet. Unter anderem hieß es darin:
"Da es um das Überleben der Menschheit geht, lassen sich die Probleme
der Gegenwart und Zukunft nicht mit einem vereinfachten und reduzierten Denken
in den Kategorien von Klassenkampf oder Sozialpartnerschaft erreichen."
In der Partei brach ein Sturm der Entrüstung los, dem angedachten Konzept
eines neuen und notwendigen Gesellschaftsvertrags mochte die Mehrheit nicht
folgen. Der Parteivorstand zog daraufhin seine Thesen zurück, verabschiedet
wurde ein Papier zu den "fünf wichtigsten Punkten in der gegenwärtigen
Debatte". Diese fünf Punkte richten sich vor allem an die Partei.
Insofern, schreibt Ditfurth, "endete der Versuch, die PDS programmatisch
und strategisch vorwärtszubringen, weitgehend in der Bekräftigung
bereits erzielter Erneuerungsfortschritte gegen eine stärker werdende
Fronde des Traditionalismus. Statt die Partei weiterzuentwickeln, mußten
Bisky, Gysi und Andre Brie retten, was zu retten war, gegen die erstarkenden
restaurativen Kräfte." (S.246)
Anzumerken bleibt, daß sich der Autor mit der pragmatischen Politik
der PDS in den neuen Bundesländern allenfalls am Rand beschäftigt.
Er hat ein Sittengemälde der Milieupartei gezeichnet. Und dieses dürfte
den GenossInnen - mit wenigen Ausnahmen unter den "Erneuerern" -
kaum gefallen.
Wolfgang Gast, taz, 17. Februar 1998
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Besuch
bei Betonköpfen
Christian von Ditfurth bereist die PDS
Die PDS hat eigentlich
kein Geheimnis mehr. Geradezu dankbar haben sich verschiedene Gruppen der
SED-Nachfolger angenommen: die Journalisten, weil die anderen Parteien vergleichsweise
langweilig sind, der Verfassungsschutz, weil er sonst nicht mehr so viel zu
tun hat, und ostdeutsche Bürgerrechtler, weil der alte Feind auch der
neue ist. Jetzt weiß die Öffentlichkeit nahezu alles - und doch
eigentlich nichts. Denn das Phänomen PDS hat weniger mit der Partei selbst,
als mit der ostdeutschen Wirklichkeit zu tun.
Deshalb ist es nur zu begrüßen, daß der westdeutsche Publizist
Christian von Ditfurth gleich ein Wohnmobil für seine "Reise durch
die PDS" gemietet hat. Schließlich läßt sich aus solch
einem Fahrzeug rund um die Uhr das Leben in den Plattenbausiedlungen - Nährboden
des PDS-Erfolgs - studieren. Doch leider hat Ditfurth fast nur Parteistützpunkte
angesteuert. Und mußte dort eine für den investigativen Journalisten
geradezu niederschmetternde Erfahrung machen: "Bei keiner anderen Recherche
hatte ich so wenig Widerstand zu überwinden, um Informationen und Informationsquellen
aufzutun."
Schade. Denn so ist es nichts geworden mit der "spannenden großen
Reportage" (Verlagstext). Wenigstens der Autor hat sich von dem Schrecken
erholt und bietet ein Ersatzprogramm: Auf 300 Seiten redet er den Ex-Genossen
tüchtig ins Gewissen. Ditfurth ist nämlich Renegat. Zehn Jahre war
er in der DKP und hat für die linke Sache gekämpft - bis zur Relegierung
von der Uni Heidelberg und nicht näher bezeichneter strafrechtlicher
Verfolgung. Dann trat er aus, weil "ich mich davon überzeugt hatte,
daß linke Politik und SED-Hörigkeit sich gegenseitig ausschlossen".
Übrig blieb ein ungebrochenes Verhältnis zu "linker Politik"
und ein Sendungsbewußtsein, das nur Abtrünnige gegenüber Gesinnungsgenossen
von einst entwickeln. Christian von Ditfurth propagiert die linke Entmythologisierung
- Antifaschismus, Stalinismus, Sozialfaschismus - und schüttelt den Kopf
über die Engstirnigkeit von PDS-Hardlinern. Das alles dient einem guten
Zweck: der "Renaissance der Linken in Deutschland", einem möglichen
Bündnis aus SPD und PDS. Denn der wahre Feind steht für Ditfurth
rechts. Und dafür bedient er gerne die Vorurteile kommunistischer Betonköpfe:
"Welchen Haß können deutsche Politiker an den Tag legen, wenn
es um ehemalige Kommunisten geht. Nicht wenigen konservativen Politikern und
Publizisten sind die Nazis geistig näher als die PDS", schimpft
er und lobt letztere als pluralistischste Partei Deutschlands.
Vergeblich. Denn "das Projekt PDS ist gescheitert". Stalinistische
"Traditionalisten" geben den Ton an, haben aber kein Konzept, während
die "demokratischen Sozialisten" um Gysi und Brie ein Programm haben,
aber keine Mehrheit. Ein Dilemma? Eine "Tragödie"!
Die Welt, 28. Februar 1998
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Neufünflands
beharrliche Genossen
Eine Reise durch die PDS zeichnet das Bild der Partei, die in "Altelfland"
noch nicht angekommen ist
Deutschlands
interessanteste Partei" sei die PDS, meint Christian von Ditfurth. Für
Berlin, wo diese Partei in den Bezirken mitregiert, mag das zutreffen. Und
für Christian von Ditfurth, der einige Jahre Mitglied der DKP war ("die
meiste Zeit davon in Leitungen tätig") und die Parteischule in Biesdorf/DDR
besucht hat, mag sie den Reiz des déja vu haben. Ansonsten kann man
darüber trefflich streiten. Berliner Studenten finden die FDP zur Zeit
viel interessanter. Und wenn es um den Machtwechsel im Herbst geht, sind vermutlich
die Grünen die interessanteste Partei. Christian von Ditfurth hat sich
gleichwohl für die PDS interessiert und eine interessante Studie verfaßt.
Seine "Reise durch die PDS" (Untertitel) fußt auf einer mehrjährigen
Recherche, für die ihm die PDS zumindest die Türen, wenn auch nicht
immer die Akten geöffnet hat. Während ihm etwa Lothar Bisky gestatten
wollte, seine Korrespondenz als Parteivorsitzender zu lesen, wurde ihm eben
dies von Lutz Bertram - als Biskys Medienberater - verweigert: "Bertram
kräht empört los . . . Kurz und schlecht, das Gezerre geht mehrere
Tage, und am Ende wird mir angeboten, ich könne in Biskys Beisein ausgewählte
Korrespondenzvorgänge lesen. Darauf kann ich verzichten."
Kann er wirklich, denn er hat auch so Material genug, und genügend alte
Bekannte in "Neufünfland", wie er etwas salopp für die
neuen (und ebenso ausdauernd wie "Altelfland" für die alten)
Bundesländer schreibt. Da ist Herbert Brehmer, ehedem Offizier in der
Stasi-Hauptverwaltung Aufklärung, mit dem er einst "eine gute Zusammenarbeit"
gepflegt habe. Er ist - wie Ditfurth 1983 aus der DKP - inzwischen aus der
PDS ausgetreten, aber noch immer mindestens sosehr "Insider" wie
die Mitglieder jenes ominösen "Insiderkomitees" ehemaliger
Stasileute, das Christian von Ditfurth in der Nähe der PDS als einen
ihr "ideologisch und personell verbundenen Zusammenschluß"
ausfindig gemacht hat.
Oder da ist Günter Görlich, der Ditfurth "in der DKP-Parteischule
als Paradebeispiel des realsozialistischen, parteilichen Schriftstellers präsentiert"
wurde. Heute gehört er zum Kreis der "38er", achtunddreißig
einst prominente PDS-Mitglieder, die 1995 Gysis und Biskys Reformkurs mit
der Erklärung "In ernster Sorge" angriffen, ihm "Aufweichung",
"Anpassung" vorwarfen, sowie "Verabschiedung vom Klassenkampf".
Ditfurth hält dies für die geheime oder, wie bei dieser Gelegenheit,
auch offen ausgesprochene Mehrheitsmeinung in der PDS. Für ihn ist die
Partei, jedenfalls in ihren ostdeutschen Hochburgen, noch immer auf die DDR-Vergangenheit
fixiert und noch nicht in der Bundesrepublik angekommen. Er bezieht das ausdrücklich
auch auf die "Kommunistische Plattform" der jungen Linken um Sarah
Wagenknecht und den Sohn der einstigen Justizministerin Hilde Benjamin, Michael
Benjamin. Diese zitiert er mit wahrhaft haarsträubenden neostalinistischen
Bekenntnissen, für die die Parteibasis immer wieder rauschenden Beifall
spende. Auf dem Parteitag 1995, so ruft uns Ditfurth ins Gedächtnis,
als Lothar Bisky "die Abwahl Wagenknechts forderte und Gysi in keinem
Vorstand sitzen wollte, dem auch die Plattformkommunistin angehöre, fehlten
dieser am Ende gerade mal dreißig Stimmen bei den Parteiwahlen".
Nicht viel besser sehe es für die reformwillige Parteiführung bei
der schmalen Parteibasis im Westen, in "Altelfland" aus, die sich
aus den Restbeständen linker Parteisekten vom KBW bis zur DKP rekrutiert:
"Viele Genossen dort haben mit dem Parteivorstand nichts am Hut."
Während sich Gregor Gysi mit seinem "Ingolstädter Manifest"
und den "10 Thesen zum weiteren Weg der PDS", die der Parteitag
auf "fünf Diskussionspunkte" reduzierte, um ein Zukunftsprogramm
für die Berliner Republik bemüht habe, zeigten sie sich vielfach
"entsetzt angesichts der Behauptung, die PDS sei im Westen 'angekommen'".
Ditfurth zitiert einen West-Genossen der PDS mit dem trotzig-zornigen Bekenntnis:
"Wir sind in dieser Republik nie angekommen. . . Wenn die PDS den Kapitalismus
lieber Marktwirtschaft nennt und nicht mehr vom Imperialisimus, sondern euphemisch
à la Willy Brandt vom 'Nord-Süd-Konflikt' spricht, dann darf sie
sich nicht darüber wundern, daß sie im Westen keinen Fuß
auf den Boden kriegt." Daß weder DKP noch KBW mit ihrem Antikapitalismus
und Antiimperialismus je einen Fuß auf den Boden gekriegt haben, scheint
dem Sprecher nicht aufgefallen zu sein.
Desto mehr Christian von Ditfurth, der es immerhin zehn Jahre in der DKP ausgehalten
hat. Dabei ist ihm offenbar einiges so gründlich aufgefallen, daß
er bei aller Sympathie für Gysis und Biskys Reformbemühungen bekennt:
"Ich werde die PDS wohl nie wählen. Die Gründe stehen in diesem
Buch."
Und er faßt sie so zusammen: "Betrachtet man die Mitgliedschaft,
dann ist die PDS im Osten nicht entstalinisiert und im Westen eine Sekte.
Auf diesem Fundament stehen die Genossen Bisky, Gysi und Brie und führen
dem staunenden Publikum den demokratischen Sozialismus vor. Bei aller guten
Absicht, das grenzt an Roßtäuscherei."
Hannes
Schwenger, Tagesspiegel (Berlin), 9. März 1998
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Zweifel
am Demokratiewillen
Mit einem Buch über die PDS setzte sich Christian von Ditfurth zwischen
alle Stühle
Ist
die PDS ostalgisch oder linksalternativ - diese Frage stellt der Publizist
Christian von Ditfurth in seinem soeben erschienenen Buch. Auf dem Podium
in der Berliner Volksbühne löste die Frage dieser Tage eine heftige
Diskussion aus.
Einerseits ist die PDS eine linke Partei, wenn man ihren programmatischen
Anspruch zum Maßstab macht. Andererseits ist sie keine linke Partei,
weil sie ein gebrochenes Verhältnis zur Demokratie hat. Möglicherweise
aber ist sie überhaupt keine Partei, sondern eher eine Art geistiger
Heimatvertriebenenverein. Das meint jedenfalls Christian von Ditfurth, der
nach langen Recherchen auf allen Ebenen der PDS sowie nach den 316 Seiten
seines neuen Buches "Ostalgie oder linke Alternative. Meine Reise durch
die PDS" zu keiner klaren Einschätzung gelangt zu sein scheint.
Ditfurth, der in den 70er Jahren der DKP angehörte und sich noch immer
als Linker versteht, sah sich trotz seiner distanzierten Sicht bei der Debatte
in der Volksbühne nicht selten in die Rolle des PDS-Verteidigers gedrängt.
Denn was vor allem Günther Nooke (CDU) von der PDS hält, spiegelt
nur einen kleinen Teil des widersprüchlichen Bildes wider, das Ditfurth
zeichnet. Der frühere Bürgerrechtler, der inzwischen das gängige
CDU-Repertoire blindlings beherrscht und zumindest in Sachen innere Sicherheit
schnell zum rechten Flügel der Union gefunden hat, sieht in der PDS ein
erhebliches demokratiegefährdendes Potential, denn "die meisten
PDS-Mitglieder sind nicht durch und durch Demokraten". Nooke glaubt beispielsweise,
daß die Kommunistische Plattform immensen Einfluß auf die PDS
hat, weshalb er Ditfurths Wort vom Sumpf in der PDS gern aufgriff. Solches
Vokabular fand PDS-Vorstandsmitglied Michael Schumann indessen "höchst
suspekt", denn es komme genau aus jenem stalinistischen Umfeld, das Ditfurth
so heftig ablehne.
Nach dessen Ansicht dient die Kommunistische Plattform vorzugsweise als Prügelknabe,
auf den Gegner der PDS einschlagen, um sich einer ernsthaften Auseinandersetzung
mit der Partei zu entziehen. Nooke bestätigte dies glatt mit seiner Frage,
was die Linke sagen würde, wenn sich die CDU eine NSDAP-Plattform hielte.
Das Rühe-Bekenntnis zu den "tapfer kämpfenden Wehrmachtsoldaten",
entgegnete Ditfurth, offenbare einen ideologischen Bodensatz, der viel gefährlicher
sei als die ganze Kommunistische Plattform.
Auch Steffen Reiche, Brandenburger SPD-Landesvorsitzender, fand eine argumentative
Abkürzung mit seiner These, die PDS werde nicht durch ein originäres
politisches Thema zusammengehalten, sondern lediglich durch Ressentiments
und die Absicht, ostdeutsche Biographien zu verteidigen. Der Versuch von Michael
Schumann, zu erklären, warum die Rechtfertigung von Biographien keine
Flucht aus der Verantwortung bedeutet, stieß auf geballten Unwillen.
Nicht nur Wolfgang Templin, bekennende Karteileiche bei den Bündnisgrünen,
bezweifelte die Demokratiefähigkeit der PDS.
Gleichwohl, so Ditfurth, dürfe man die PDS nicht ausgrenzen. Man müsse
sie ernst nehmen, und es sei auch keine Katastrophe, sollte demnächst
irgendwo ein PDS-Minister amtieren, denn solche Herausforderungen könnten
nur zur Läuterung der Partei beitragen. Das war freilich starker Tobak
für CDU-Mann Nooke, der um das Bundestagsdirektmandat in Berlin-Mitte
/Prenzlauer Berg kämpft - es wäre "der größte Fehler",
so Nooke, die PDS in Machtspiele einzubinden. Ein Wahlkampf-Seitenhieb, den
der Sozialdemokrat Reiche nicht nötig hatte. Schon zuvor hatte er Ditfurth
dessen Zustimmung zur Erfurter Erklärung "als Rückfall in alte
Zeiten" unter die Nase gehalten und im übrigen kühn erklärt,
eine Fortsetzung des Magdeburger Modells werde es nicht geben. Und bundespolitisch
stehe sich die PDS selbst im Weg, indem sie durch ihre Existenz eine rot-grüne
Regierung womöglich verhindere.
Wolfgang,
Hübner, Neues Deutschland, 23. März 1998
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Sozialismusvertriebene
Christian von Ditfurth hat die PDS besucht
Über
die PDS gibt es noch keinen Reiseführer durch ihr Innenleben, der ihre
Geschichtsbilder, ihre Glaubensvorstellungen und die politischen Befindlichkeiten
ihrer Mitglieder Außenstehenden erklärt. Christian von Ditfurth
schließt diese Lücke. Es erinnert an die politischen Reiseberichte
von Egon Erwin Kisch oder George Orwell. Es ist auch ein " Erklär'
mir die DDR"-Buch für Leser in den elf "Altländern".
Die Reiserouten wählt der Historiker von Ditfurth aufgrund individueller
und kollektiver Generationserfahrungen: Seine Lebensabschnittsheimat war zehn
Jahre lang die DKP. Er hat auch in diesem Fall keine Gedächtnislücke:
Wäre den westdeutschen Kommunisten auf irgendeine Weise die Macht zugefallen,
"sie hätten sich nicht die Mühe langwieriger Gerichtsverfahren
gemacht. Sie hätten auch keine parlamentarische Kommission zur Aufarbeitung
der BRD-Geschichte installiert. Sie hätten alles ausgelöscht, was
anders war als sie selbst." Die persönliche Erinnerung an die Zweifel,
den Schmerz und die Trauer über den Verlust der eigenen politischen Heimat
sind die Voraussetzung seiner kritischen Empathie, mit der Ditfurth die PDS
als Gemeinschaft von Heimatvertriebenen beschreibt.
Die Grundfrage für Heimatvertriebene ist, ob die sie aufnehmende Gemeinschaft
willens und in der Lage ist, sie zu integrieren, oder ob sie es vorzieht,
die Neuankömmlinge außen vor zu halten. Der Autor will die Integration
der PDS in das Parteienspektrum - unter einer Voraussetzung: Sie muß
den Bruch mit der diktatorischen Vergangenheit des deutschen Kommunismus vollziehen.
Der Autor untersucht den Schmerz und die Trauer der PDS-Mitglieder um die
verlorengegangene DDR, wenn er die Bedeutung von ideologischen Welt- und Geschichtsbildern
analysiert, die in der PDS vorherrschen. Mit zwei Leitfragen betrachtet er
das Selbstverständnis der Partei: Wie hält sie es, erstens, mit
der Demokratie, und ist sie, zweitens, als linke Partei in der Bundesrepublik
angekommen? Es sind Fragen, in denen die Erfahrungen der westdeutschen Debatte
um Täter und Opfer in der nationalsozialistisehen Diktatur stecken.
In den siebziger Jahren stand der Begriff "Filbingern" für
fehlendes Unrechtsbewußtsein von ehemaligen Nationalsozialisten. Ditfurth
charakterisiert mit diesem Wort das Lavieren des PDS-Parteivorstandes, wenn
dieser wieder einmal die "politische Strafverfolgung" der Mauerschützen,
Volksrichter oder Politbürokraten durch die bundesdeutsche Justiz geißelt.
Chefideologe in solchen Angelegenheiten ist der rechtspolitische Sprecher
der PDS im Bundestag, Uwe-Jens Heuer, zu DDR-Zeiten Direktor des Instituts
für Staatsrecht an der Berliner Humboldt-Universität. Er hat den
Satz des früheren Marinerichters Hans Filbinger für die DDR übernommen:
Was früher Recht war, kann heute kein Unrecht sein, und schließlich
war die DDR ein souveräner Staat. Diese Argumentationskette konfrontiert
Ditfurth mit einer Frage: Wie kann man einen Staat und "eine Gesellschaft
für moralisch, politisch oder historisch legitim halten, die ihre Existenz
vor allem der Gewalt verdankt? Keine Entscheidung in der DDR ist demokratisch
gefällt worden. Keine."
Lebt Stalin?
Das
ist die Grundsatzfrage; aus ihr erklärt sich der hohe Stellenwert der
Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Im Selbstverständnis der PDS
ist sie noch gegenwärtig. Es geht immer um Geschichte, wenn die Genossen
der Kommunistischen Plattform (KPF) in der PDS Fragen der Art ergründen,
welchen Anteil der"Verrat" von KPdSU-Generalsekretär Gorbatschow
am Ende der DDR habe oder wie Stalin zu bewerten sei.
Ditfurths kritischer Realismus läßt keine Mißverständnisse
aufkommen. Es geht ihm um die Differenzierungen, um die Grautöne in der
Innenwelt der PDS, die bei politikwissenschaftlichen Abhandlungen gern der
begrifflichen Klarheit geopfert werden. Ditfurth läßt keinen Zweifel
daran, daß die Kommunistische-Plattform-Anhänger in der PDS glauben,
"daß Sozialismus ohne Unterdrückung nicht möglich sei".
Ihre eigentliche Bedeutung liegt für ihn jedoch in ihrer inneren Funktion
als "Linienpolizei" der PDS. Ihre Positionen bedienen die Gefühlswelt
vieler älterer Mitglieder, die nicht umsonst gelebt haben wollen".
Am Ende der Auseinandersetzung um das Jahrhundertverbrechen Auschwitz stand
in der Bundesrepublik die strafrechtliche Ahndung all derjenigen, die versuchen,
die Verbrechen in Auschwitz zu leugnen.
Mit Blick auf die Verharmlosung von Stalins Untaten durch die KPF fragt Ditfurth,
ob die Gulag-Lüge nicht ebenso verwerflich sei, "wie Auschwitz zu
leugnen?" Ist die Stalin-Frage für die DDR-Apologetik der PDS-Geschichtsbilder
von existentieller Bedeutung, wenn es um ihr "Ankommen" in der Bundesrepublik
geht, so ist für die Koalitionsfähigkeit der PDS ihre Haltung zur
SED-Gründung von 1946 zentral. Damals, im April 1946, schlossen sich
KPD und SPD in der Sowjetischen Besatzungszone zur Sozialistischen Einheitspartei
zusammen, womit die kommunistische Machtpolitik die SPD in der SBZ ausschaltete.
Ob dieser Vorgang als "Zwangsvereinigung" zu bezeichnen ist, das
steht heute noch zwischen SPD und PDS.
Keine linke Sammlung
Als
1989 die PDS aus der SED heraus entstand, haben viele ihre politische Selbstbehauptungskraft
unterschätzt. Als Anwalt der "Ostinteressen" im Vereinigungsprozeß
wird die PDS gewählt, und sie hat in "Neufünfland" und
der früheren Hauptstadt der DDR von allen Parteien immer noch die meisten
Mitglieder.
Als linke Partei neben SPD und Grünen konnte sich die PDS im Westen nicht
etablieren; nur linksradikale Sektierer sammelten sich unter ihrer Fahne.
"Die PDS ist die Partei der einstigen Träger des SED-Systems, der
Militärs, Ideologen, Wissenschaftler, Lehrer oder Künstler."
Damit werden die sozialen Interessen deutlich, die sie vertritt; es geht um
das Ansehen der einstigen DDR-Staatsdiener, um die Abwehr der Einsicht in
den illegitimen Charakter der SED-Diktatur, und schließlich um die Renten
für Parteifunktionäre und MfS-Offiziere.
Dieser Wirklichkeit der sozialen Interessen der ehemaligen Nomenklaturkader
der SED entsprechen die "ostdeutschen Verbände", die mit der
PDS verbunden sind, und die Wirkung der durch das "Marxistische Forum"
Heuers oder die KPF-organisierten "restaurativen Kräfte" in
der Partei. Da verwundert es nicht, daß die PDS bislang nichts für
die Opfer des SED-Regimes getan hat und immer noch in der "Welt der Täter"
lebt.
Ditfurths Bestandsaufnahme ist auch die Neubewertung der Rolle der "Reformer"
wie Gregor Gysi, Lothar Bisky und André Brie, die in den Augen der
Öffentlichkeit die PDS zu führen scheinen. Ditfurth zeichnet ein
anderes Bild von ihnen. Innerparteilich lavierten sie, beschreibt er, sie
vermieden den klaren Bruch mit der Diktaturgeschichte des deutschen Kommunismus
und könnten auf der politischen Bühne nur deshalb brillieren, weil
die restaurativen Kräfte der PDS, die nicht in unserer Zeit leben, über
keine plausible politische Strategie verfügten: "Die Partei hat
sich nicht erneuert, sie leistet sich Erneuerer in der Führung. Sie leistet
sich einen demokratischen Sozialismus, den an der Basis kaum einer kennt oder
kennen will."
Ditfurths Befunde sind ernüchternd: SED-Ostalgie unter den Mitgliedern
im Osten, im Westen linksradikale Sektierer - seiner Ansicht nach haben die
"SED-Erneuerer" von 1989 kräftig dazu beigetragen. Damals haben
sie versucht, die Macht und das Vermögen der SED zu behalten. An dieser
Stelle verläßt den Autor sein Blick für die Interessenlagen
im Herbst 1989. Die PDS-Gründer wollten ihre Partei und ihren Staat gegen
die Einheitsbewegung in der DDR behaupten.
Das Buch erscheint zum Bundestagswahlkampf. Ditfurth will die Integration
der Sozialismusvertriebenen in die Bundesrepublik, er will den Machtwechsel:
"Ich bin dagegen, daß jene verächtlich gemacht werden, die
mit der PDS zusammenarbeiten wollen. Auch deshalb habe ich die 'Erfurter Erklärung'
unterschrieben. Ich gebe zu, mit Bauchschmerzen." Die Tolerierung der
rot-grünen Minderheitsregierung in Sachsen-Anhalt und die von den Reformern
in der PDS nachhaltig geförderte "Erfurter Erklärung"
sind für Ditfurth Stationen auf dem Weg zu einer Integration der PDS
in das demokratische Parteiengefüge. Dabei setzt er auf die Sozialdemokraten,
die nur in Kooperation mit der PDS die Hegemonie der Union brechen können.
Das Plädoyer zur Integration der PDS entspricht den Erfahrungen der Bundesrepublik
mit den Tätern der NS-Diktatur und der Aufnahme von Vertriebenen und
Flüchtlingen. Ditfurths Buch über die PDS kann als Beitrag zur demokratischen
Erinnerungskultur der Deutschen gewertet werden. In Deutschland leben ja viele
"Ehemalige", die einer der beiden Diktaturen oder gar beiden gedient
haben. Die Deutschen könnten am Ende des Jahrhunderts der Weltkriege
und Diktaturen mehr solcher Reiseführer in die vielfältigen Gruppen
von "Ehemaligen" gebrauchen, damit die Nachgeborenen die Geschichte
kennen, die sie zu überwinden haben.
Manfred
Wilke, Süddeutsche Zeitung, 25. März 1998
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Wir
hier oben, ihr da unten
Eine nicht ganz unvoreingenommene Innenbetrachtung der PDS
Im
Januar 1997 wurde vor dem Schweriner Parteitag der PDS eine von einem "Bündnis
linker Schriftsteller, Theologen, Wissenschaftler und Gewerkschafter"
gemeinsam erarbeitete "Erfurter Erklärung" veröffentlicht,
in der für ein breites "Bündnis für soziale Demokratie"
unter Einschluß von SPD, Bündnisgrünen und PDS geworben wird.
Christian Ditfurth gehört zu den Unterzeichnern des Manifests und wirbt
in seinem Buch für dessen Einlösung. Koalitionen würden zur
Erhaltung der "linkssozialistischen Alternative" PDS beitragen und
ihr den Weg ebnen, "sich ganz von Stalin zu befreien".
Wie die verquere Formulierung zeigt, steht der Verfasser der PDS keineswegs
vorbehaltlos gegenüber. Der Leser entnimmt dem mit persönlichen
Erlebnisschilderungen unterhaltsam angereicherten Erfahrungsbericht, daß
Ditfurth viele Jahre lang der DKP angehörte, dabei die DDR kennenlernte
und an der Ost-Berliner SED-Parteischule "Franz Mehring" als Kader
weitergebildet wurde. Später hat er der DDR und der DKP den Rücken
gekehrt und sich als Journalist mit den ehemaligen Blockparteien und der PDS
kritisch auseinandergesetzt. Nun kamen ihm seine persönlichen Kontakte
zu DKP-"Erneuerern", die zur PDS übergelaufen waren, seine
Kenntnis der DDR und der dort verbreiteten Mentalitäten zugute.
Ditfurths Reise durch die verschiedenen Strömungen und Ebenen der PDS
ähnelt einer Fahrt mit der Geisterbahn. In den mitgliederstarken Landesverbänden
"Neufünflands" grassiere nicht nur DDR-"Ostalgie",
sondern spuke gar das Gespenst Stalins. In dem Bestreben, die eigene Biographie
zu retten, flüchte man sich nicht selten in abstruse Legitimationskonstrukte.
Als Beispiel zitiert Ditfurth in einem der über den Band verstreuten
Dokumenteneinschübe die "ökologische" Rechtfertigung der
Mauer und der mit Minen, Selbstschußanlagen und Stacheldraht bewehrten
Grenzstreifen aus der Feder eines ND-Lesers: "Weil ja keiner raus und
rein kam, konnte sich die Natur völlig geschützt entwickeln."
Sahra Wagenknecht, die junge Pasionaria der Kommunistischen Plattform (KPF),
beschreibt Ditfurth als "die hübsche Frau mit den häßlichen
Gedanken". Ihre Anhänger unterhielten ein "taktisches Verhältnis
zur Wahrheit". Die PDS-Führung trenne sich nicht von der KPF, weil
deren Meinungen "in der gesamten PDS verbreitet sind" und "ideologische
Mehrheiten finden". Auch das gegenüber der KPF stärker gewordene
Marxistische Forum bleibt nicht verschont. Dessen Aufruf "In großer
Sorge" charakterisiert der Autor als das Produkt all jener, "die
als Parteiintelligenz jeden Winkelzug des Politbüros mit akademischen
Weihen versehen hatten". Hart geht er mit dem K-Gruppen-Sektierertum
der schwächlichen westlichen PDS-Verbände ins Gericht. Und am Beispiel
eng mit der PDS verflochtener Interessenvereinigungen wie ISOR, GRH und GBM
wird gezeigt, daß sich die Partei in der Masse ihrer Mitglieder als
"Rächerin der entmachteten DDR-Eliten" versteht.
Zu diesem ungeschminkten Bild von den Stimmungen, Anschauungen und Mentalitäten
der "Basis" steht das der Parteiführung in grellem Kontrast:
Der Mannschaft um Gysi, Bisky, Brie und Bartsch bescheinigt Ditfurth großzügig,
sie habe sich "aus der geistigen Sklaverei des Stalinismus" befreit,
sei - mit vielen anderen in den Vorständen der Partei - inzwischen "in
der Bundesrepublik angekommen" und stehe auf dem Boden des Grundgesetzes.
Sie habe mit dem demokratischen Zentralismus gebrochen und erscheine "pluralistischer
als alle anderen Parteien". Von der "Diktatur des,Proletariats"
habe man sich ebenso verabschiedet wie von der "historischen Mission
der Arbeiterklasse".
Ditfurth bringt es auf folgende Formel: "Die Partei hat sich nicht erneuert,
sie leistet sich Erneuerer in der Führung. Sie leistet sich einen demokratischen
Sozialismus, den an der Basis kaum einer kennt oder kennen will." Eine
weithin "stalinistische" Basis und eine demokratisch-reformistische
Führung: Wie reimt sich das zusammen?
Ditfurths Buch ist offenbar das Produkt eines schmerzhaften Lernprozesses,
den der Leser über die Kapitel hinweg rekonstruieren kann. Das ehemalige
DKP-Mitglied ist sich inzwischen des diktatorischen Charakters des DDR-Regimes
bewußt, er würdigt demokratische Errungenschaften der Bundesrepublik.
Er streicht Parallelen zwischen Stalinismus und Nationalsozialismus heraus
und geht in seiner Würdigung der Verbrechen des Kommunismus so weit,
deren Negation mit der Auschwitzlüge auf eine Stufe zu stellen. Offengelegt
wird auch der Mißbrauch, den Kommunisten mit dem Begriff des "Antifaschismus"
getrieben haben. Doch so manches Versatzstück des Marxismus-Leninismus
hat die ideologische Entrümpelung überlebt. Die "Enteignung
des Finanzkapitals", meint Ditfurth, sei nach 1945 versäumt worden,
und man habe die "alten Eliten weitgehend ungeschoren" davonkommen
lassen. Die "Organisierung des praktischen Widerstandes gegen die bestehenden
kapitalistischen Verhältnisse" gilt ihm auch heute als Gebot der
Stunde.
Ob er die Vergangenheit seiner ehemaligen politischen Freunde ausreichend
aufgearbeitet hat, erscheint bei allen unleugbaren Fortschritten zweifelhaft.
Der "demokratische Impetus der Partei Rosa Luxernburgs" erstrahlt
nur in hellem Sonnenschein', wenn man ihn mit dem unter Thälmann vergleicht.
Daß der großzügige Umgang mit dem Stalinismusbegriff die
Zustände in den ersten Jahren nach der Oktoberrevolution ausblendet und
die Verantwortung Lenins und Trotzkis verkleinert, schiebt der Autor beiseite.
Auch wer ihm zustimmt, wenn er Marx und Engels gegen die völlige Vereinnahmung
durch den "realen Sozialismus" in Schutz nimmt, muß die Nichtbeachtung
aller totalitären Elemente in deren Lehren monieren.
So entgeht Ditfurth auch die für das Selbstverständnis der PDS-Führung
entscheidende Rolle des Gramscismus und der Lehre von der "kulturellen
Hegemonie". Darüber hinaus wird vieles ausgespart, was die PDS-Führung
in anderem Licht erscheinen lassen könnte (wie die Bündnispolitik
mit kommunistischen Parteien aus aller Welt). Doch mindern all diese Einwände
nicht den Wert des Buches in seiner Eigenschaft als ehrlicher, kurzweiliger
und in seinen Beobachtungen vielfach treffsicherer Erfahrungsbericht über
die "Strömungen", "Arbeitsgemeinschaften" und "Plattformen"
an der Basis der PDS.
Uwe
Backes, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 30. März 1998
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Partei
Der Sozialismusvertriebenen
Buchautor untersuchte die SED-Nachfolgepartei
PDS
sollte eigentlich für "Partei Der Sozialismusvertriebenen"
stehen, spottet der Historiker und Journalist Christian von Ditfurth. Denn
derzeit gleiche sie eher einem Heimatvertriebenen-Verband als einer linken
Partei. Die Aussage ist keineswegs blanke Polemik, sondern das Ergebnis einer
Analyse, für die das frühere DKP-Mitglied zwei Monate durch die
Landes- und Ortsverbände reiste, Diskussionen besuchte und in Archiven
recherchierte. Er traf dabei auf eifrige Verteidiger des Stalinismus, alte
Männer, die den "Versuch" DDR verteidigten, und Reaktionäre.
In der Berliner Volksbühne, direkt neben der PDS-Zentrale, stellte der
Autor sein Buch "Ostalgie oder linke Alternative" vor und diskutierte
mit dem PDS-Vorstandsmitglied Michael Schumann sowie den Ex-Bürgerrechtlern
Wolfgang Templin, Steffen Reiche und Günter Nooke.
Von Ditfurth konzentriert sich auf den Umgang der PDS mit der Vergangenheit
- sowohl auf der politischen als auch auf der persönlichen Ebene der
Mitglieder. "Ich kann doch nicht umsonst gelebt haben", diese Sätze
hörte der Autor bei Gesprächen. Seine Antwort ist schonunglos: "Doch,
man kann umsonst gelebt haben. Nämlich dann, wenn man einer schlechten
Sache gedient hat, auch wenn man dafür die besten Gründe nennt."
Reiche, heute SPD-Landesvorsitzender und Kultusminister in Brandenburg, sieht
in der Verteidigung der Biographien das "einzig Originäre"
der PDS. Die Partei werde nicht von einem Thema, sondern von einem Ressentiment
zusammengehalten. PDS-Politiker Schumann hingegen nannte es "menschlich
legitim", wenn etwa SED-Bürgermeister auf ihre Leistungen und Errungenschaften
für die Gemeinde stolz seien. Auch die Gründung der DDR sei nach
dem Versagen der bürgerlichen Herrschaftsschichten legitim gewesen. Allerdings
habe es nie die Freiheit gegeben, in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ)
eine parlamentarische Demokratie einzuführen. Schließlich seien
die Sowjets und Stalin infolge der Weltkriegs-Verbrechen "über uns
gekommen".
Ditfurth ließ dies nicht gelten. Dabei werde vergessen, daß bei
dem "Versuch" viele Menschen unter die Räder gekommen seien.
Verantwortliche einer Partei, "die die Menschenrechte mit Füßen
getreten hat", könnten nicht ihre Biographie verteidigen. Statt
dessen sollten sie ihre Biographien offenlegen, Die PDS lasse zudem bei der
juristischen Aufarbeitung der DDR-Verbrechen, "jede Nähe zur Welt
der Opfer" vermissen. Prozesse gegen Genossen würden pauschal als
"Siegerjustiz" abgetan. Die Partei kenne noch immer nur die Perspektive
der Unterdrücker. Auch der Bruch mit dem Stalinismus ist nach Ansicht
des Historikers nicht völlig vollzogen. Dazu zitiert er in seinem Buch
seitenweise Papiere und haarsträubende Thesen der "Kommunistischen
Plattform" und des "Marxistischen Forums". Auch Interessengruppen
wie die "Initiativgemeinschaft zum Schutz der sozialen Rechte ehemaliger
Angehöriger bewaffneter Organe und der Zollverwaltung der DDR" (ISOR),
die "Gesellschaft zur rechtlichen und humanitären Unterstützung"
(GRH) und die "Gesellschaft zum Schutz von Bürgerrecht und Menschenwürde"
(GBM) untersuchte von Ditfurth. Die enge Verflechtung der PDS mit diesem "Sumpf
der Täter" - "Antidemokraten" wie "unverbesserlichen
Stalinisten" - sei bemerkenswert.
Katholische
Nachrichtenagentur (KNA), Korrespondentenbericht, 21. März 1998
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"Das
Projekt PDS ist gescheitert"
PDS:
Partei der Stasispitzel? Partei der übriggebliebenen Honecker-Veteranen,
die unter dem Deckmantel der Demokratie eine deutsche sozialistische Revolution
vorbereiten? Christian v. Ditfurth durchleuchtet gekonnt eine Partei, die
mannigfaltige Facetten hat, aber, so Ditfurth, eine Parteispitze besitzt,
die meilenweit vom Gros der Mitglieder entfernt ist; die den Spagat üben
muß zwischen den ostalgischen Genossen, die teils dem Stalinismus noch
hinterhertrauern, und einer jungen Linken, die eine Idee mit neuer Prägung
ins nächste Jahrtausend zu retten versucht. Um es vorwegzunehmen, Ditfurth,
der in Mönchengladbach lebt und am 8. Mai im BIS liest, gehört nicht
zu der ImmerDraufAufDieGenossen-Fraktion, die von dem Gedanken beseelt ist,
Deutschland von den Sozialisten zu befreien. Er ist selber Sozialist und war
lange Jahre Mitglied der DKP. Um so heftiger trifft seine Kritik. Gnadenlos
schreibt er der PDS ins Poesiealbum, daß sie noch lange nicht mit der
Vergangenheit abgeschlossen hat und daß sie auf dem Weg ist, auszusterben:
Zwar ist sie im Osten tief verwurzelt, aber die Mitglieder sterben ihr wortwörtlich
weg, und im Westen hat sie es bislang nicht geschafft, eine passable Zahl
von jungen Leuten anzusprechen. Schlimmer noch: Die linke Sektiererei, die
schon vor 1989 die westdeutsche Linke hemmte, blüht innerhalb der PDS
weiter. Der gelernte Historiker transportiert neben der Analyse ein Stück
Lebensgefühl der PDS und setzt sich umfangreich mit ihren Wurzeln auseinander.
Er prophezeit der PDS weitere Wahlerfolge, da "sie die einzige ostdeutsche
Partei ist, die anderen werden als Filialen der Westparteien betrachtet, und
dies zu recht". Aber er sagt auch: "Das Projekt PDS ist gescheitert."
Die Partei trat 1989 an, um sich vom Stalinismus zu befreien. "Mittlerweile
gibt es in der PDS demokratische Sozialisten, aber sie sind ideologisch in
der Minderzahl." Von der "linken Alternative" läßt
Ditfurth kaum etwas übrig. Die reformistische Führungsspitze um
Gysi und Bisky hält er für eine Art Lebensversicherung, die sich
die PDS leistet, um die Partei vor dem Untergang zu bewahren. Früher
oder später, meint er, werden sie ihre Schuldigkeit getan haben und der
innerparteilichen Mehrheit weichen müssen.
Peter
Wagner, Stadtmagazin Mönchengladbach, Nr. 4/98
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Ostalgie
inklusive Stasi
Ein Linker nimmt die PDS unter die Lupe - und gelangt zu einer ernüchternden
Bilanz.
Es ist nicht eben bequem für die PDS, was der Historiker Christian von
Ditfurth da auf 352 Seiten notiert. Besonders schmerzen dürfte die Partei,
daß die umfangreiche Kritik diesmal nicht aus dem rechten Lager kommt,
sondern von links. Zumal sie mit viel Detailkenntnis begründet wird.
Es ist das zweite Mal, daß sich der aus Mönchengladbach stammende
Autor eine ostdeutsche Partei vornimmt. Schon 1991 erschien "Blockflöten.
Wie die CDU ihre realsozialistische Vergangenheit verdrängt" - eine
Analyse über die Ost-CDU, die das Bonner Konrad-Adenauer-Haus am liebsten
zur Bückware erklärt hätte. Diesmal verspricht von Ditfurth
"neue Wahrheiten" über die Nachfolgerin der ehemaligen DDR-Staatspartei.
Sein Fazit: Zwar würden Lothar Bisky, Gregor Gysi und André Brie
glauben, sie könnten Mitglieder und Möglichkeiten einer ostdeutschen
Volkspartei mit unbewältigter SED-Vergangenheit nutzen, um moderne sozialistische
Politik zu machen. "In Wahrheit benutzt die Partei ihre Aushängeschilder
längst, um zu übertünchen, daß im Inneren das Rad zurückgedreht
wird. Die Reformer laufen über einen Sumpf. So etwas ist noch nie gutgegangen."
Eindeutig ergreift von Ditfurth Partei für die Reformkräfte in der
PDS - um ihnen zugleich zu bescheinigen, daß sie praktisch längst
gescheitert sind. Er begründet das nicht nur mit Splittergruppen in der
PDS wie der Kommunistischen Plattform (KPF), in der "Stalins Ideen eine
Renaissance feiern".
Abenteuerliche
Reise durch die Partei
Entscheidender
ist nach Ansicht des Autors die folgende Erscheinung: Obwohl die KPF nur schätzungsweise
500 Mitglieder in der Partei habe, reiche das Gedankengut in die ganze PDS
hinein. So führt seine "abenteuerliche Reise" durch die Partei
zum Marxistischen Forum des Bundestagsabgeordneten Uwe-Jens Heuer über
die "Ostalgie inklusive Ministerium für Staatssicherheit" und
die gescheiterte West-Ausdehnung hin zu einer Haltung zur DDR, die von Ditfurth
immer wieder an der Basis angetroffen hat: "Ich stehe dazu."
Ich stehe dazu: Diese Position wird von einem weißhaarigen Herrn mit
Brille verkörpert, der im Buch immer wieder auftaucht - ein Hinweis auf
die gefährliche Überalterung der PDS. Der Herr sagt: "Ich stehe
moralisch über dem Scherbenhaufen des SED-Staats. Ich habe Jahrzehnte
meines Lebens geopfert für ein besseres, antifaschistisches, humanistisches
Deutschland. Aber ich bin betrogen worden. Ich trage keine Schuld." Der
Buchautor setzt dagegen: "Man gibt seinem Leben keinen Sinn, wenn man
einer schlechten Sache gedient hat und sich darüber nicht bewußt
werden will."
Wie
bei einem Treffen der Heimatvertriebenen
Für
Ditfurth personifiziert solche Kontinuität der Ideale auch der ehemalige
Dresdner SED-Bezirkschef und heutige PDS-Ehrenvorsitzende Hans Modrow. Immer
wieder vollbringe er das Kunststück, die Konzepte der Reformsozialisten
mit zu unterzeichnen, ohne selbst Vorwärtsweisendes in die Debatte zu
bringen. Gleichzeitig betone Modrow stets die guten Seiten des realen Sozialismus.
"In dieser Wirklichkeit steht er zwischen Erneuerung und Ostalgie."
Nicht nur einmal kommt sich der Autor auf einer PDS-Versammlung so vor wie
auf einer Kundgebung von Heimatvertriebenen. So unterstreicht er Gysis Fazit
aus dem Jahre 1990, als der die PDS als "reaktionäre Partei"
beschrieb. Die Denk- und Verhaltensmuster der SED seien nicht überwunden
- und wenn das Buch für die Genossen-Partei einen deutlichen Makel hat,
dann den, daß es keinen schlüssigen Ratschlag enthält, wie
dem Dilemma zu entfliehen ist. Ditfurth schwant es: Der Anreiz, reinen Tisch
zu machen, fehlt. Viele, wohl zu viele Stammwähler würden der Partei
verloren gehen. Und doch: Für ein Machwerk des Klassenfeindes wiegt das
Buch zu schwer.
Matthias
Meisner, Sächsische Zeitung, 25. März 1998
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Nörgelnde
Nostalgiker
Christian von Ditfurth entführt auf eine spannende Reise durch die PDS
Im
deutschen Osten gehört er zu den zeitgemäßen Physiognomien:
der bebrillte Rentner, der sich bei jeder beliebigen Diskussion einschaltet.
Lächelnd stimmt er "im Prinzip" zu, doch müsse er "Ergänzungen
anbringen".
Und zwar die immer gleichen: In der DDR war nicht alles schlecht, man wollte
nur das Beste, der Kapitalismus hat auch schlimme Härten. Voilà,
die PDS, wie sie Christian von Ditfurth während der Recherchen für
sein Buch "Ostalgie oder linke Alternative" unzählige Male
erlebt hat.
Und doch nennt der Publizist die Linkssozialisten im nächsten Atemzug
"Deutschlands pluralistischste Partei". Wie paßt das zusammen?
Es paßt nicht, und das anschaulich herauszuarbeiten ist das Verdienstvolle
an Ditfurths gutgeschriebener Analyse. Jenseits der gängigen Vereinfachungen
("Verschwörung der Roten Socken" versus "Gysis bunte Truppe")
zeigt sie die PDS, wie sie ist - hoffnungslos gespalten.
Da gibt es die überalterte Basis, die ihre Partei primär als "Wärmestube"
nutzt. In ihr bestätigt man sich gegenseitig, daß die eigene DDR-Biographie
doch noch einen Wert hat und früher nicht alles schlecht war. Dabei hängen
die alten Herren politischen Orientierungen nach, die Ditfürth wegen
ihrer Geringschätzung der Demokratie als eindeutig "stalinistisch"
brandmarkt.
Doch weil die Basis mit sich selbst beschäftigt ist, kann bislang eine
dünne Schicht von Reformern Programm und parlamentarische Praxis der
Partei bestimmen. Nach außen engagiert sich die PDS deshalb für
direkte Demokratie, soziale Gerechtigkeit und ökologische Reform.
Der Führungsspitze nimmt Ditfurth solche Bekenntnisse auch durchaus ab.
Nur zweifelt er, ob sie sich künftig durchsetzen kann: In den letzten
Jahren habe der Einfluß der Unbelehrbaren wieder zugenommen, die Reformer
laufen über einen Sumpf - und wie recht der Autor hat, zeigt die augenblickliche
Krise der PDS mitten im Wahljahr.
Sollten die Reformer verschluckt werden, wäre das nach Ditfurth allerdings
auch das Ende der PDS.
Übrig bliebe ein Verein von nörgelnden DDR-Nostalgikern. Zweifellos
unsympathisch, aber keine Gefahr für die gesamtdeutsche Demokratie.
Rainer
Jung, Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt, 3. April 1998
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Eine
Partei im Spagat
"Ostalgie oder linke Alternative"
Christian von Ditfurths Buch über die PDS
Trotz
oder vielleicht gerade wegen ihrer Wahlerfolge in Ostdeutschland bleibt die
PDS westlichen Beobachtern ein Rätsel. Christian von Ditfurths interessantes
und anregendes Buch über die PDS schafft etwas Abhilfe. Der Autor, der
schon mit seiner Studie über die "CDU-Blockflöten" einiges
Aufsehen erregt hat, weiß, worüber er schreibt, schließlich
war er selber zehn Jahre Mitglied in der DKP, dem SED-Westableger. Das räumt
er selbstkritisch ein, wie er auch keine Zweifel über die Absichten dieser
von der SED gesteuerten Partei läßt, die "die demokratischen
Grundrechte des Grundgesetzes mit einem Federstrich ausgelöscht hätte,
wenn sie nur die Macht dazu gehabt hätte. Sie wollte eine deutsche Vereinigung
unter dem Vorzeichen der SED."
Die PDS ist für den Autor keine kommunistische Partei im klassischen
Sinn, sondern ein Konglomerat verschiedener Einzelgruppen. Am rechten Rand
finden sich die Kommunistische Plattform, das Marxistische Forum und verschiedene
Interessenorganisationen ehemaliger Verantwortungsträger, die darin wetteifern,
die stalinistischen Verbrechen zu verharmlosen und die DDR seligzusprechen.
Rechtfertigung
des DDR-Unrechts
Während
erstere weniger mit ihren schlichten stalinistischen Parolen als mit ihrer
"Medienfigur" Sahra Wagenknecht Schlagzeilen machen, versammeln
sich im Marxistischen Forum die ehemaligen Ideologieproduzenten der SED. Ihre
Anstrengungen gelten der wissenschaftlichen Legitimation des Sozialismus und
der Rechtfertigung des DDR-Unrechts als staatliche Notwendigkeit. Sie behaupten,
"was damals Recht war, kann heute nicht Unrecht sein", und sprechen
von "Siegerjustiz"; sie bereuen nichts - sind Unbelehrbare.
Zwar stellen diese Gruppen innerhalb der PDS nur eine kleine Minderheit dar,
artikulieren jedoch Meinungen, "die in der gesamten PDS verbreitet sind".
Indem sie an die gelebte Vergangenheit und den gemeinsamen geschichtlichen
Auftrag und damit an Erfahrungen und Erinnerungen appellieren, vermitteln
sie ihren Sympathisanten und Wählern das Gefühl, "nicht umsonst
gelebt zu haben". Es ist die gleiche Gefühlslage wie nach 1945.
Dagegen spricht von Ditfurth aus, was sich leider nur wenige Politiker trauen:
"Doch, man kann umsonst gelebt haben. Nämlich dann, wenn man einer
schlechten Sache gedient hat, auch wenn man dafür die besten Gründe
nennt."
Die "Reformkräfte" in der PDS macht er um Gysi, Bisky und Brie
aus. Die seien schon in der Bundesrepublik angekommen und strebten für
das vereinte Deutschland ein sozialistisches Modernisierungsprojekt an. Auch
wenn sie sich mit ihren programmatischen Vorstellungen in der PDS bisher nicht
durchsetzen konnten, sind sie gerade für politisch Heimatlose in Ost
und West Hoffnungsträger. Aber auch sie konzentrieren sich bisher vor
allem auf die Vertretung ostdeutscher Interessen und die Weichzeichnung der
DDR.
In der Einschätzung dieser Gruppe verläßt den Autor leider
seine ansonsten reichlich ausgeprägte Kritikfähigkeit. Schließlich
handelt es sich zumindest bei ihren prominenten Sprechern auch um ehemalige
Nomenklaturkader der SED, wenn auch nur aus der dritten Reihe, die ebenfalls
ihren Anteil an der Aufrechterhaltung der SED-Diktatur hatten und nicht gerade
selbstkritisch mit ihrer persönlichen Vergangenheit umgehen, wie der
Fall Gysi offenbart.
Dagegen räumt der gelernte Historiker mit den in der PDS weitverbreiteten
Mythen zur DDR-Geschichte auf: Sie war nicht demokratisch legitimiert und
basierte auf Gewalt und Zwang. Für die in die Hunderttausende gehenden
Verurteilungen politisch Andersdenkender und die Opfer an der Grenze gibt
es keine Rechtfertigung. Selbst der identitätsstiftende Antifaschismus
wurde von der SED-Führung instrumentell genutzt: "Der Antifaschismus
der SED war genauso demokratie- und menschenverachtend wie der Antifaschismus
von Thälmanns Partei."
Die PDS speist ihre Kraft als ostdeutsche Milieupartei aus dem geistigen und
seelischen Zustand ehemaliger Staats- und Parteifunktionäre, die nicht
nur ihren Status, sondern auch ihre Heimat verloren haben. Sie sind noch nicht
im vereinten Deutschland angekommen, ja, viele wollen es gar nicht. Von daher
plädiert der Autor unvermittelt für eine Integrationstherapie und
schlägt eine Regierungsbeteiligung der PDS im Rahmen eines linken Projekts
vor. Aus diesem Grund hat er auch die "Erfurter Erklärung"
unterschrieben, in der SPD, Bündnisgrüne und PDS zu einer gemeinsamen
Regierungsbildung aufgefordert werden.
Die Ablösung der "konservativen Hegemonie", d. h. der jetzigen
Bundesregierung, ist für den Autor wichtiger als die demokratischen Defizite
der PDS. So relativiert sich leider sein geradezu vernichtendes Gesamturteil
über die PDS. "Betrachtet man die Mitgliedschaft, dann ist die PDS
im Osten nicht entstalinisiert und im Westen eine Sekte. Auf diesem Fundament
stehen die Genossen Bisky, Gysi und Brie und führen dem staunenden Publikum
demokratischen Sozialismus vor. Bei aller guten Absicht, das grenzt an Roßtäuscherei."
Linke
Sektierer und Obskuranten
Das
eigentliche Dilemma der PDS liegt in ihrem Spagat zwischen Ost und West. Während
sie im Osten als strukturkonservative, um nicht zu sagen reaktionäre
Partei agiert und damit Wählerstimmen einfängt, "positioniert"
sie sich in Westdeutschland als Forum für linke Sektierer und Obskuranten.
Aus diesem Widerspruch wird sie sich nur lösen können, wenn ihr
bei einer möglichen rot-grünen Koalition in Bonn die linken Flügel
von Bündnisgrünen und SPD zulaufen sollten.
Das Buch hinterläßt einen zwiespältigen Eindruck. Eine radikale
und gleichzeitig aufklärerische Kritik an der PDS und eine aufmerksame
und feinfühlige Beschreibung ihrer Basis gehen einher mit einer gewünschten
politischen Aufwertung der PDS als möglichem Regierungspartner und einer
überzogenen Kritik am eingeschlagenen Vereinigungsweg. Doch noch ist
die Bundesrepublik keine psychologische Selbsthilfeeinrichtung und die Bundesregierung
- gottlob - keine Therapiegemeinschaft, auch wenn es manchmal so scheinen
mag.
Klaus
Schroeder, Berliner Morgenpost, 18. April 1998
Rezensionen und Berichte: [taz][Die Welt][Tagesspiegel][Neues Deutschland: Bericht
/ Rezension][Süddeutsche
Zeitung][FAZ][KNA][Stadtmagazin MG: Rezension
/ Bericht][Sächsische
Zeitung][Deutsches Allgemeines
Sonntagsblatt][Berliner Morgenpost][Thüringische Landeszeitung][Westdeutsche
Zeitung: Rezension / Bericht][Rheinische Post][Hessische/Niedersächsische Allgemeine][Kölner Stadt-Anzeiger: Rezension
/ Bericht][Focus][Disput][Märkische
Allgemeine][Monatsbericht
des Thüringer Landesamts für Verfassungsschutz][SPD-Intern][analyse & kritik][Deutschland Archiv][Zeitschrift
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Zeitung][Presseblick][Nordseezeitung][Frankfurter
Rundschau][DDR
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"Ich
habe überhaupt nichts zu meckern!"
Eher
zufällig entdeckten wir, daß es in Mönchengladbach einen gebildeten,
Bücher schreibenden und links denkenden Intellektuellen gibt, der unsere
so oft, auch von uns selbst, gescholtene Heimatstadt auch noch toll findet.
Er residiert in einem schmucken Altbau in der Nähe des Rheydter Fischerturms,
und wenn er seinem Computer nicht gerade Worte diktiert, nutzt er den Rheydter
Hbf als Tor zur Welt.
Zufall war es für den Autor der Bücher "Internet für Journalisten",
"Blockflöten. Wie die CDU ihre realsozialistische Vergangenheit
verdrängt" (1991), "Wachstumswahn. Wie wir uns selbst vernichten"
(1995) und "Ostalgie oder linke Alternative. Meine Reise durch die PDS",
das jüngst im Kiepenheuer & Witsch Verlag erschienen ist, daß
er in Rheydt lebt.
Ditfurth, Historiker und Publizist, war stellvertretender Verlagsleiter bei
der ECON-Verlagsgruppe und zog vor zehn Jahren von Hamburg an den Niederrhein.
Zuerst wohnte er in Viersen, um seit 1992 in Mönchengladbach in der Taubenstraße
zu leben und zu arbeiten. Als überzeugter Kommunist diente er bei der
Bundeswehr, um dann in Heidelberg von 1973 bis 1980 Geschichte und Germanistik
zu studieren, letzteres nur zwangsweise, weil das die Prüfungsordnung
vorschrieb. Unterbrochen durch eineinhalb Jahre DKP-Parteischule in Ostberlin,
hat er 1980 sein Examen gemacht.
Einen Kindheitstraum erfüllte er sich: "Büchernarren",
so erzählt er in seiner gemütlichen Küche bei starkem Espresso,
"müssen Lektoren werden." So redigierte er beim Hoffmann und
Campe Verlag in Hamburg, wechselte nach kurzem freien Intermezzo nach München
zu Bertelsmann, von dort zurück nach Hamburg, um beruflich schließlich
in Düsseldorf zu landen.
"Die Träume von einer unabhängigen sozialistischen Partei sind
im Jahre 1922 ausgeträumt gewesen. Seitdem gibt's die Partei nicht mehr.
Es gibt für Linke nur zwei Möglichkeiten: entweder versucht man
autonom irgend etwas hinzukriegen, oder man versucht in den bestehenden Strukturen
etwas hinzukriegen Wir sind heute nicht in der Situation, um über Machtfragen
zu diskutieren - wir brauchen erst mal eine Verständigung." Ditfurth
macht sich keine Illusionen. Die bisherigen Rezepte der Linken sind gescheitert.
Das ist nicht nur für ihn bitter. Und wie wenig die PDS seine großartige
Arbeit "Ostalgie oder linke Alternative" (weitere Informationen
zu diesem Buch: http://home.t-online.de/home/cditfurth/cditfurth.htm) verstanden
hat, wird deutlich, wenn man im "Neuen Deutschland" vom 23. 3. 1998
lesen kann: "Mit seinem Buch über die PDS setzte sich Christian
von Ditfurth zwischen alle Stühle." Dort sitzt die PDS, bezogen
auf ihre Politik, schon lange, und anstatt ein Diskussionsangebot anzunehmen,
bleibt, man erlebte es kürzlich bei ihrem Rostocker Parteitag, alles
möglichst wackelfrei unbeweglich.
Ditfurths Buch ist vor den Bundestagswahlen ein ernstzunehmendes Angebot,
mal wieder über die entgangenen Chancen, Möglichkeiten einer sozialistischen
Alternative links der SPD nachzudenken, und das ist am Freitag, den 8. Mai
1998 um 20 Uhr im BIS möglich. Ditfurth hat sich bis zum heutigen Tage
nicht mit den politischen und wirtschaftlichen Verhältnissen in Deutschland
abgefunden, und die Gefahr, daß es so bleiben wird, freut ihn wenig.
Das kann man in seinem Buch "Wachstumswahn. Wie wir uns selbst vernichten"
nachlesen.
Was aber hält Christian v. Ditfurth von Mönchengladbach? Suche man
Liebreiz, meint er, müsse man nach Neuschwanstein gehen oder sich in
München in manchen Ecken umsehen. Mönchengladbach ist für jemanden,
der kein Schickimicki mag, eine gute Stadt. Sie ist überschaubar, sie
hat einen guten, ganz ordentlichen Nahverkehr: "... mein Rheydter Hauptbahnhof
ist für mich das Tor zur Welt, und ich kann alles zu Fuß erreichen.
Hier in Rheydt wohne ich ruhig und mitten in der Stadt. Ich finde die Stadt
prima, ich habe überhaupt nichts zu meckern!"
Schade ist eigentlich nur, daß Christian v. Ditfurth in nächster
Zeit nach Lübeck übersiedeln wird.
Dieter Braeg, Stadtmagazin Mönchengladbach,
Nr. 5/98
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Ein
vielstimmiges Orchester
Christian von Ditfurth begab sich auf Erkundungstour quer durch die PDS
Mit
den "Blockflöten" ist sein Name in Thüringen verbunden.
Christian von Ditfurth hat bereits 1991 in einem Buch aufgearbeitet, "wie
die CDU ihre realsozialistische Vergangenheit verdrängt". Das kam
seinerzeit je nach politischem Standpunkt (gar nicht) gut an. Der Gothaer
Landrat gar "adelte" eine Lesung Ditfurths mit seinem Erscheinen.
Nach den "Blockflöten" ist jetzt das einstige Gesamtorchester
und sein vielstimmiger Nachfolge-Klangkörper PDS dran! Ditfurth hat eine
"Reise durch die PDS" unternommen - das Ergebnis läßt
er im Titel offen: "Ostalgie oder linke Alternative" nennt er das
310seitige Werk. Die Reise zu den Spielstätten neuer und alter Polit-Partituren,
die sich Ditfurth da auferlegt hat, führt bisweilen in seine eigene Vergangenheit.
Zwischentöne
Der
Autor weiß, wovon er spricht, wenn er sich mit Kommunistischer Plattform
und real existierendem Sozialismus, mit Stalin und mit Thälmann auseinandersetzt.
Ditfurth hat eine DKP-Vergangenheit: Von 1979 bis 1983 war er aktives und
führendes Mitglied des SED-Westablegers und nahm an einem Einjahreslehrgang
an der DKP-Parteischule in Ostberlin teil.
Wurde Ditfurth wegen seines Blockflötenbuches von interessierter Seite
vorgeworfen, er höre nur auf einem Ohr, widerlegt er dies jetzt mit dem
erneuten Aufspüren zahlreicher Zwischentöne.
Viele, die er trifft auf seiner Gastspielreise, scheinen aber von ideologischer
Taubheit geschlagen - eine Krankheit, die mit offenkundig unkontrolliertem
Redefluß einhergeht. Sahra Wagenknecht - ständig die verrüschte
Rolle Rosa Luxemburgs geben wollend und die erste Geige beanspruchend - wird
am besten einfach nur zitiert: "Eigentlich gibt es nichts, von dem ich
sagen würde, das hatte ich in der DDR nicht, das fehlte mir in der DDR."
Auch nicht Südfrüchte, Infrastruktur, Informationsmöglichkeiten?
fragt sich der Autor. Wagenknecht: "Nein, auf eine so alltägliche
Diskussion lasse ich mich ungern ein. Und Äpfel esse ich lieber als Bananen."
Nun kann es mit dem Obst jeder halten, wie er will. Wie aber steht es um den
Freiheitsbegriff der Andersdenkenden? Ditfurth nimmt Note um Note auf. Bald
wird hörbar, daß noch nicht einmal die Kommunistischen Plattformen
in Thüringen und Berlin ähnliche Töne von sich geben. Die PDS
ist viel mehr als diese - wie Ditfurth meint - überschätzte Wagenknecht-Gruppe.
Keine
Melodie
Klangliche
Geschlossenheit - und das ist nach der Vergangenheit auch schon ein Verdienst
- hat die PDS, die so gerne Nachfolgepartei genannt wird, heutzutage nicht
vorzuweisen.
Am Ende des trotz allen Parteichinesisch interessant geschriebenen Werkes
bleibt der Eindruck: Der Töne viele haben wir gehört, eine Melodie,
auf die es sich einstellen ließe, bekam Ditfurth nicht zu Gehör.
Ungeklärt bleibt nach dieser Innenansicht allerdings das Erfolgsgeheimnis
bei Wahlen.
Gerlinde
Sommer, Thüringische Landeszeitung, 4. April 1998
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"Meine
Reise durch die PDS"
Gladbacher Autor legt politisches Sachbuch über Struktur der Partei vor
Politisch
Lied, ein garstig Lied? Der in Gladbach lebende Historiker, Lektor und freie
Autor Christian von Ditfurth hat ein wichtiges politisches Sachbuch geschrieben:
"Ostalgie oder linke Alternative". Es ist "Ein Reisebericht",
auch als Untertitel, ... durch die PDS".
Es gibt Sachbücher, die langweilen, und ihre Autoren stellen ihr Besserwissen
so unverständlich und kompliziert dar, daß dem Leser die Leselust
vergeht. So ist dieses politische Sachbuch kein "garstiges Buch",
sondern ein wirklich notwendiges, um einige Illusionen und Wunschvorstellungen,
die man - vor allem in den alten Bundesländern zur PDS entwickelte -
endlich abzulegen. Wie sehr Stalin noch in manchen Köpfen herumgeistert,
kleine grauhaarige Brillenmänner einen eigenartig undemokratischen Antifaschismus
betreiben oder Thälmanns Lebenslauf weiterhin falsch kolportiert wird,
kann man in diesem Buch mit seinen insgesamt 311 Anmerkungen und einem reichhaltigen
Personenverzeichnis nachlesen.
Von Ditfurth beschreibt diese Tatsachen ohne Häme, eher mit engagiertem
Bedauern. Er hat seit 1990 an vielen Sitzungen teilgenommen, Kreisvorstände
und Landtagsfraktionen besucht und befragt. Für mich, als Sohn eines
Vaters, der dem Naziregime in einem hohen Amt diente, während mein Stiefgroßvater
noch im Jahr 1935 in Siebenbürgen mehr als 80 Lehrer entließ, weil
sie Nazi-Anhänger waren, war das Buch von Ditfurths wichtig und notwendig,
und es spricht nicht für den Neubeginn nach 1945, der solche Arbeiten
nicht zuließ.
Sicher hätte auch die PDS eine Chance, zu einer linken demokratischen
Partei zu werden. In der Spitze, dies bestätigt der Autor, bemühen
sich Gysi, Bisky und Brie, aber der Einfluß altgedienter Ideologien
und Kader aus SED-Zeiten ist groß. Daß dann noch ein Trotzkist
im Schafspelz, Winfried Wolf, im alten Land für Druck sorgt, wundert
mich nicht. So ist Ditfurths Meinung: "Eine linke Partei hat die Pflicht,
Programme und Strategien zu erarbeiten, um zu verhindern, daß Gesellschaft
und Wirtschaft zu Spielbällen des internationalen Finanzkapitals werden",
zu unterstreichen.
Dieter
Braeg, Westdeutsche Zeitung, 6. April 1998
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Partei
für "Heimatvertriebene"
In seinem neuen Buch nähert sich der Historiker Christian von Ditfurth
der PDS von links - und wird enttäuscht.
Christian
von Ditfurths Bericht über seine "Reise durch die PDS" ist
nach dem Buch über die "Blockflöten"-CDU der DDR der zweite
Versuch des Autors und Historikers, sich einer ostdeutschen Partei anzunähern.
In "Ostalgie oder linke Alternative" fragt Ditfurth, was die PDS
ist und in Zukunft sein könnte. Das Fazit fällt ernüchternd
aus. Er beschreibt die mitgliederstärkste Partei in den neuen Bundesländern
als Gemeinschaft Heimatvertriebener Menschen, die in der Vergangenheit leben
und die vor allem damit beschäftigt sind, sich ihre "Biografien
nicht nehmen zu lassen".
Daß "Gysis bunte Truppe" im Bundestag, Punks im Bundesvorstand,
die geschickte Öffentlichkeitsarbeit und die oft witzigen Wahlkämpfe
nur wenig über das wahre Seelenleben der Partei aussagen, wir haben es
schon immer geahnt. Wie sehr der mediale Schein und das Bewußtsein an
der Parteibasis auseinanderklaffen, faßt Ditfurth am Ende des Buches
zusammen: "In Wahrheit benutzt die Partei ihre Aushängeschilder
längst, um zu übertünchen, daß im Inneren das Rad zurückgedreht
wird. Die Reformer laufen über einen Sumpf. So etwas ist noch nie gutgegangen."
Diese Einschätzung ist vermutlich das Ergebnis eines eigenen Lernprozesses.
Ditfurth, in den Siebzigern selbst Mitglied der DKP, nähert sich der
PDS von links. Jahrelang hat er Quellen ausgewertet, in Archiven recherchiert,
Veranstaltungen besucht und Mitglieder interviewt. Er trifft Menschen, die
mit dem Untergang der DDR "einen Glauben verloren, aber keinen neuen
gefunden haben", Menschen, die sagen: "Ich kann doch nicht umsonst
gelebt haben." Ditfurths Antwort ist schonungslos: "Doch man kann
umsonst gelebt haben. Nämlich dann, wenn man einer schlechten Sache gedient
hat, auch wenn man dafür die besten Gründe nennt."
Marxisten
geben Ton an
Trotz
dieses harten Urteils ist Ditfurth weit davon entfernt, in eine Rote-Socken-Rhetorik
zu verfallen. Bei aller Kritik und Distanz nähert er sich seinen Gesprächspartnem
mit Respekt, oft auch mit Verständnis und Sympathie. Nicht mit Häme,
sondern eher mit Verzweiflung sieht Ditfurth, wie sich die PDS immer mehr
von den anfänglich vorhandenen Bemühungen, mit dem Stalinismus zu
brechen, entfernte. Gruppen wie das Marxistische Forum und die Kommunistische
Plattform hätten die Meinungsführerschaft in der Partei übernommen.
Eng verflochten sei die PDS darüber hinaus mit den Organisationen der
Täter des SED-Regimes wie der "Initiativgemeinschaft zum Schutze
der Sozialen Rechte ehemaliger Angehöriger bewaffneter Organe und der
Zollverwaltung der DDR" oder der "Gesellschaft zur rechtlichen und
humanitären Unterstützung".
Was ist die PDS wirklich? Eine "Vereinigung von Heimatvertriebenen",
ein "gescheitertes Projekt", die "einzige linkssozialistische
Partei in Deutschland" oder eine "therapeutische Selbsthilfegruppe"?
Ditfurth überläßt die Antwort dem Leser.
Steffen
Bach, Hessische/Niedersächsische Allgemeine, 25. April 1998
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Viel
Ostalgie und keine Alternative
Christian von Ditfurths Portrait der PDS
"Für
die PDS gibt's mit dem Buch ein paar Probleme", sagt Christian von Ditfurth.
Und das ist wohl vorsichtig formuliert. Denn in dem Buch stehen viele Sätze
wie diese: "Ist die PDS überhaupt eine Partei? Für viele Genossen,
wenn nicht für die meisten, ist sie eher eine therapeutische Selbsthilfegruppe,
in der die Verlierer von 1989 sich gegenseitig darin bestärken, doch
immer nur das Beste gewollt zu haben. Sie ist eine Vereinigung von Menschen
mit gebrochenen Biographien, die sich für nichts mehr interessieren als
dafür, sich reinzuwaschen. Insofern ist die PDS eine Vereinigung von
Heimatvertriebenen."
Sätze, für die Autor Ditfurth bei Lesungen in Ostdeutschland "knüppelharten"
Widerspruch geerntet hat.
Den einen oder anderen PDS-Anhänger mag besonders schmerzen, daß
solche Wertungen nicht von der rechten Seite kommen. Ditfurth, Jahrgang 1953,
Historiker, derzeit als freier Autor und Lektor tätig und in Mönchengladbach
wohnhaft, ist ein "Wessi". Noch dazu einer, der von 1973 bis 1983
der DKP angehörte und in seinem Buch "Ostalgie oder linke Alternative.
Meine Reise durch die PDS" auch schreibt: "Dem politischen Spektrum
in Deutschland fehlen seit 1989 linke Alternativen - und sei es nur als Korrektiv."
Hübsche
Frau, häßliches Denken
Nichtsdestotrotz
fällt seine Abrechnung mit der DDR, dem Stalinismus und seinen unbelehrbaren
Anhängern gnadenlos aus. Sarah Wagenknecht, Galionsfigur der "Kommunistischen
Plattform" in der PDS, nennt er "die hübsche Frau mit den häßlichen
Gedanken", die Millionen Opfer der kommunistischen Diktatur in der Sowjetunion
als bedauerliche, aber notwendige Begleiterscheinung des sozialistischen Aufbaus
zu rechtfertigen, ist ihm ebenso verwerflich, wie Auschwitz zu leugnen. "Wie
kann man eine Gesellschaft für moralisch, politisch oder historisch legitim
halten, die ihre Existenz vor allem der Gewalt verdankt", fragt Ditfurth
und fügt hinzu: "Keine Entscheidung in der DDR ist demokratisch
gefällt worden. Keine."
Ein
Konglomerat
Erstaunlicher
werden im Westen Deutschlands wohl viele Ditfurths Diagnose finden, die PDS
sei keine kommunistische Partei und mit dem Begriff "SED-Nachfolgepartei"
nicht zutreffend beschrieben. Für Ditfurth, der jahrelang in Archiven
forschte und viele Parteiveranstaltungen - von Vorstandssitzungen bis hin
zu Treffen der Basis besuchte -, ist die PDS ein "Konglomerat",
eine geradezu absurd bunte Mischung: im Westen ein Sammelbecken linker Sektierer
mit verschwindend geringer Mitgliederzahl; im Osten ein Konglomerat, das unter
anderem aus unbelehrbaren Stalinisten, einer dünnen Schicht um die Definition
eines demokratischen Sozialismus ringender Funktionäre (etwa Gregor Gysi)
und eben jenen Mitgliedern besteht, die Ditfurth "Heimatvertriebene"
nennt: Menschen, die sich seit dem Zusammenbruch der DDR ihrer geistigen Heimat
und ihrer Identität beraubt fühlen, die "noch nicht in der
Bundesrepublik angekommen sind", die in der PDS gegenseitige Rechtfertigung
ihrer Biographien suchen. Motto: "Ich kann doch nicht umsonst gelebt
haben." "Kann man doch" antwortet ihnen Ditfurth. Und zwar,
wenn man einer schlechten Sache gedient habe und sich weigere, sich dies bewußt
zu machen.
Viel Ostalgie also - und wie steht's mit der "linken Alternative"?
Miserabel. "Linke Politik ist unmöglich ohne vollständigen
Bruch mit der SED-Diktatur", befindet Ditfurth. Und den habe die PDS
bisher nicht vollzogen.
Holger
Hintzen, Rheinische Post, 7. Mai 1998
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Bücher
schreiben, um auch zu lernen
Lektor,
Verlagsleiter und jetzt freier Autor: Christian von Ditfurth lebt und arbeitet
in Mönchengladbach. Sein neues Buch beschäftigt sich mit der PDS.
Mit seinem Namen geht er nicht gerne hausieren, obwohl dieser auf den Buchtiteln
einiger renommierter deutscher Verlage prangt: Christian von Ditfurth, Historiker,
Autor und Wahl-Mönchengladbacher, ist natürlich der Sohn von Hoimar
von Ditfurth und der Bruder von Jutta von Ditfurth.
Doch während bei Vater und Schwester die Ökologie im Vordergrund
stand und steht, hatte sich der 44jährige "schon in der Schulzeit
neben Lesen für Geschichte" interessiert. Ein entsprechendes Studium
folgte, wobei Christian von Ditfurth die Zeit-Geschichte besonders aktiv auch
selbst verfolgte. Er macht heute keinen Hehl daraus, daß er in den 70er
Jahren Mitglied in der DKP war und sogar über ein Jahr lang Marxismus
an einer Ost-Berliner Kaderschule studiert hat. Doch das Kapitel DKP beendete
er schon 1983, ohne aber die Politik im Allgemeinen aus den Augen zu lassen.
Doch erst einmal stand ein Beruf im Vordergrund, und was liegt für einen
Literatur-begeisterten Menschen näher als die Ausbildung zum Lektor.
In den folgenden Jahren pendelte von Ditfurth zwischen großen Verlagshäusern
in Hamburg und München, um dann schließlich 1990 doch am Niederrhein
- zuerst in Viersen, dann in Rheydt - zu landen.
Den Entschluß, seine Position als stellvertretender Verlagsleiter bei
Econ in Düsseldorf aufzugeben und als freier Autor zu arbeiten, bereut
er nicht. "Ich schreibe Bücher, um selbst auch etwas zu lernen!"
Einen Themenschwerpunkt ("Da herrscht bei mir Chaos") hat er nicht,
obwohl er sich immer wieder mit der deutschen Einheit und ihre Folgen beschäftigt.
Neben zahlreichen Aufsätzen und Zeitungsbeiträgen entstanden so
seit 1991 zwei Internet-Fachbücher, ein Buch über den "Wachstumswahn"
sowie ein Buch über die ehemalige DDR-CDU mit dem bezeichnenden Titel
"Blockflöten".
Parallel dazu beschäftigte sich von Ditfurth seit 1990 mit der PDS. Sein
aktuelles Buch "Ostalgie oder linke Alternative - Meine Reise durch die
PDS" nimmt diese Partei unter eine kritische Lupe. "Doch es war
mehr eine Abenteuerfahrt als eine Reise", beschreibt von Ditfurth seine
langjährigen Recherchen. Einen Auszug seiner aktuellen Arbeit stellt
Christian von Ditfurth am Freitag, 8. Mai, um 20 Uhr im Kulturzentrum "Bis",
Bismarckstraße, auf einer Lesung vor.
Ulf Maaßen, Westdeutsche Zeitung, 7. Mai
1998
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In
der PDS wird das Rad zurückgedreht
Christian von Ditfurth glaubt, daß mittlerweile die Reformkräfte
an Einfluß in der Partei verlieren
"In
Wahrheit benutzt die Partei ihre Aushängeschilder längst, um zu
übertünchen, daß im Inneren das Rad zurückgedreht wird.
Die Reformer laufen über einen Sumpf So etwas ist noch nie gutgegangen."
Das Urteil des Autors über die PDS fällt hart aus. Und es kommt
in dieser Härte überraschend, denn die Seiten zuvor zeitigten ein
sorgsames Abwägen, wobei einstweilen unklar war, zu welcher Seite sich
die Waage senken würde.
Wer gibt bei den Postkommunisten, die im Westen als Sammelbecken frustrierter
Linkssektierer ein Schattendasein führen und im Osten den Status einer
Volkspartei haben, tatsächlich den Ton an? Ist es die Gruppe der Erneuerer
um Gysi, Bisky und Brie, die den Bruch mit der stalinistischen Vergangenheit
radikal vollziehen wollen, oder sind es die Traditionalisten, die die untergegangene
DDR verklären und die parlamentarische Demokratie, in der sie jetzt notgedrungen
leben müssen, letztlich ablehnen?
Dies ist die Frage, die der Historiker Christian von Ditfurth in seinem neuen
Buch "Ostalgie oder linke Alternative. Meine Reise durch die PDS"
zu beantworten sich vorgenommen hat. "Reise durch die PDS" ist dabei
einigermaßen wörtlich zu nehmen: Immer wieder hat Ditfurth in den
vergangenen Jahren Parteiversammlungen besucht, Prominente und "einfache"
Mitglieder gesprochen, im parteieigenen Archiv recherchiert. Der Anschaulichkeit
wie der Glaubwürdigkeit der Argumentation sind diese Vorarbeiten zweifellos
zugute gekommen. Die reportagehaften Schilderungen legen ein haltbares Fundament
für das Gebäude der politischen Analyse, das sich auf ihm erhebt.
Das Ergebnis: Gysi und Genossen ist es laut Ditfurth nach 1989 gelungen, die
gesamte Partei auf einen antistalinistischen Kurs einzuschwören. Inzwischen
aber ist - dies der aus vielen Einzelbeobachtungen gewonnene Eindruck des
Autors - ihre Position in der PDS nicht mehr mehrheitsfähig: Die Tabus
fallen - Ditfurth belegt es - wie Dominosteine: Wer die Bezeichnung Unrechtsstaat
für das SED-Regime empört zurückweist, für wen Gorbatschow
ein Verräter ist und die ehemaligen DDR-Bürgerrechtler Feinde sind,
ist wieder hoffähig, kann mit herzlichem Beifall rechnen.
Dies ist, so Ditfurth, auch der Grund dafür, daß Figuren wie Sahra
Wagenknecht - die "schöne Frau mit den häßlichen Gedanken"
- und der Historiker Kurt Gossweiler, der Stalin verherrlichende Brandreden
hält, nicht aus der Partei geworfen werden. Sie sind zu einflußreich
und verfügen über zuviel Rückhalt an der Basis.
Man muß nicht alle Schlußfolgerungen und Wertungen Ditfurths teilen,
manches bleibt dem bloßen Mutmaßen verhaftet. Trotzdem sollte
das Buch all denen zu denken geben, die in der PDS immer noch eine seriöse
demokratische Alternative sehen.
Markus
Schwering, Kölner Stadt-Anzeiger, 14. Mai 1998
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Symptome
erkannt, Diagnose verfehlt
"Ostalgie oder linke Alternative" - Christian v. Ditfurth beäugt
die PDS
Eindrücke
von einer "Reise durch die PDS" legt Christian v. Ditfurth vor.
Sein Buch liest sich gut und schnell und kann den Leser geradezu fesseln.
Aber die Spannung wird nicht selten durch Kolportage hergestellt, die sich
eigentlich in einem politischen Sachbuch verbietet. Da muß beispielsweise
ein "würdiger älterer Herr mit Brille, den es auf fast jeder
PDS-Veranstaltung gibt" (S. 94) als Kronzeuge für die Meinung der
PDS-Basis herhalten.
Ditfurth hat Versammlungen der PDS besucht, mit Mitgliedern lange Gespräche
geführt, viel Material studiert. Das alles führt ihn zu sehr widersprüchlichen
Urteilen, die - so scheint's mir - nicht allein in der zweifellos widersprüchlichen
Situation innerhalb der PDS ihre Ursache haben, sondern ebenso in widersprüchlichen
Positionen des Autor selbst. Anders ist schwer zu erklären, daß
Ditfurth auf der einen Seite findet, die PDS sei die interessanteste Partei
Deutschlands, ihr auf der anderen Seite als bundesweite linke sozialistische
Partei keinerlei Perspektive gibt. In der Kommunistischen Plattform macht
er einige hartgesottene Stalinisten aus und fragt: "Aber warum schmeißt
die PDS die paar Dutzend KPF-Sektierer nicht einfach raus?". (S. 43)
An anderer Stelle schreibt er jedoch: "Betrachtet man die Mitgliedschaft,
dann ist die PDS im Osten nicht entstalinisiert und im Westen eine Sekte."
(S. 272) Er fragt weiter: "Ist die PDS überhaupt eine Partei?"
Stellt dann jedoch fest: "Aber die PDS ist die einzige linkssozialistische
Partei in Deutschland." (S. 275)
Es gibt keinen Grund, die Defizite, Schwierigkeiten, ungelösten Probleme
der PDS zu beschönigen. Im Gegenteil, nicht durch Selbstgerechtigkeit
und Abschottung, sondern nur durch öffentliche Auseinandersetzung und
entschiedene Selbstkritik, die nicht abgerungen, sondern als Chance begriffen
und praktiziert wird, kann die PDS die widerständige, konsequent demokratische
sozialistische Partei werden, die Stoiber, Waigel und Hintze, aber auch Schröder
und Fischer dauerhaft und wirkungsvoll von links herausfordern kann. Ditfurth
spricht der PDS diese Fähigkeit und Bereitschaft ab. Doch die Quellen,
mit denen er seine Einschätzung beweisen will, widersprechen ihm eindeutig.
Nahezu ausschließlich beruft er sich auf PDS-Politiker und -erklärungen.
Offensichtlich steckt in dieser Partei doch ein ungebändigtes selbstkritisches
Potential. Ditfurth leugnet dieses zwar, nutzt es aber kräftig für
sein Buch. Und wenn er - durchaus zu Recht - PDS-Politikern Ungenauigkeiten
beim Zitieren nachweist, so muß er sich doch auch die Frage gefallen
lassen, warum ähnliche Oberflächlichkeit auch bei ihm zu registrieren
ist. Die Möglichkeiten, dieses Buch für den notwendigen Disput in
der PDS heranzuziehen, werden dadurch jedenfalls erheblich beeinträchtigt.
Andere Mängel sind schwerwiegender, aber hier nur anzudeuten. Der Autor
widerspricht entschieden der konservativen Gleichsetzung von Naziherrschaft
und SED-Staat, aber wenn PDS-Mitglieder davon reden, daß es in der DDR
sichere Arbeitsplätze, Kindergärten, niedrige Mieten usw. gegeben
habe, dann sagt er: "Das klingt mir zu sehr nach Autobahnen." Womit
auch bei ihm der Unterschied von Naziregime und DDR unter der Hand verschwindet.
Einigen von Ditfurths Thesen kann auch nicht unter dem Gesichtspunkt dringender
Veränderungen unserer Geschichtssicht zugestimmt werden, so wenn er schreibt:
"Die NS-Diktatur war kein Instrument des großen Kapitals, sondern
stützte sich auf die breite Zustimmung des deutschen Volkes ... "
(S. 83) So richtig - leider - der zweite Teil dieser Feststellung ist, so
offenkundig unrichtig der erste. Da ist selbst ein Teil der konservativen
Geschichtsschreibung weiter. Und Günter Wallraff stellt noch für
die 70er Jahre hinsichtlich der Chefetagen deutscher Konzerne fest: "70
Prozent der über 50jährigen Führungskräfte stammten aus
den Elitegruppen des Dritten Reiches." (Stern-Beilage, 26. März
1998)
Der Autor bekennt sich nicht zu der Kinkelschen Forderung, "das SED-Regime
zu delegitimieren" (S. 100), aber er verlangt genau das. Er fordert von
Menschen, die in der DDR gelebt und für die DDR gearbeitet haben, sie
dürften nicht sagen, "ich kann doch nicht umsonst gelebt haben".
Erbarmungslos hält er ihnen vor: "Doch, man kann umsonst gelebt
haben. Nämlich dann, wenn man einer schlechten Sache gedient hat, auch
wenn man dafür die besten Gründe nennt. ... Das ist viel verlangt.
Aber anders geht es nicht" (S. 97f.) Offenbar kann auch Ditfurth nur
in den Kategorien "richtig oder falsch", "nützlich oder
umsonst" denken, ganz in der Tradition des Marxismus-Leninismus, der
auch Christian von Ditfurth einmal gefolgt war.
Mir wirft er die These vor, "daß die konsequente und praktische
Kritik des stalinistischen und poststalinistischen Sozialismus ... nicht die
historische Legitimität der Oktoberrevolution oder des Versuchs, ein
anderes, ein antifaschistisches Deutschland zu errichten, in Frage" stellt.
Er ernennt diese These zum "ideologischen Kitt, der die widerstreitenden
Flügel zusammenhält". Und auch deretwegen werde die PDS kaum
eine gesamtdeutsche sozialistische Partei werden (S. 81). Zu der entscheidenden
Frage, ob die Legitimität eines historischen Aufbruchsversuchs generell
und post festum bestritten werden muß, wenn der Versuch gescheitert
ist, nimmt er nicht Stellung. Darüber hinaus kann die erforderliche Kritik
der Oktoberrevolution nicht in ahistorischer Weise von der barbarischen Illegitimität
jener Zustände abstrahiert werden, die ihre Ursachen waren - dem (bis
dahin) beispiellosen Verbrechen des Ersten Weltkrieges und der allgemeinen
Zerrüttung Rußlands, auf die jedoch die Februarrevolution eben
noch keine Antwort gab.
Ich unterstütze Ditfurths Auffassung, nicht die Mängel und Verbrechen
des einen Systems gegen die des anderen aufzurechnen. So kann man weder zu
einer realistischen und nachhaltigen Kritik des zusammengebrochenen "realen
Sozialismus" sowie einer Erneuerung der sozialistischen Politik, noch
zu wirkungsvoller Kritik der kapitalistischen Gesellschaft kommen. Um dies
zu erreichen, muß die Ganzheitlichkeit der Geschichte herangezogen werden,
kann z.B. die zivilisatorische Wirkung der Oktoberrevolution für den
Zusammenbruch des Kolonialismus und die Analyse dieser bis in die Gegenwart
reichenden mörderischen und sozial und kulturell zerstörerischen
Seite kapitalistischer Weltherrschaft nicht ausgeblendet werden. Umgekehrt
- und in dieser Hinsicht ist Ditfurths Kritik oft zutreffend - kann und darf
die PDS die zivilisatorischen Errungenschaften der bürgerlichen Gesellschaft
nicht verleugnen, wenn sie deren Realisierungsstand glaubwürdig kritisieren,
die Defizite der DDR-Gesellschaft bestimmen und in erneuerten Sozialismusvorstellungen
überwinden will.
Ditfurths Bild ist letztlich ebenso differenzierungslos wie das von ihm kritisierte.
Wenn ich einen Moment notwendiger Veränderung in der Linken hervorheben
müßte, so wäre es die Lehre, daß jedes Lager- und Schwarz-Weiß-Denken
unweigerlich zu Realitätsverlust führen muß. Differenzierung
und Ganzheitlichkeit des Denkens ist in der heutigen Mediengesellschaft unbequemer
und schwieriger denn je. Aber für die Wiedergewinnung sozialistischer
Politik unerläßlich.
Ich darf mich zu denen rechnen, die gewiß noch mehr "durch die
PDS gereist" sind als Christian v. Ditfurth. Und ich bekenne, daß
ich viele der Symptome für Hemmnisse und Schwierigkeiten in der Entwicklung
der PDS, die er erkannt hat, nicht anders sehe. Aber ich widerspreche Ditfurth,
wenn er immer wieder von "den meisten PDS-Genossen" spricht, die
"unbelehrbar" seien.
Ich weiß, wie schwer es vielen Genossinnen und Genossen gefallen ist
- ich nehme mich da nicht aus - und noch fällt, die DDR so kritisch zu
sehen, wie es eine tiefgründige historische Analyse verlangt, die für
eine linkssozialistische Partei in der Tat lebensnotwendig ist. Ich erlebe
aber auch fast täglich, wie um diese notwendigen Erkenntnisse buchstäblich
gerungen wird. Nach meinen Eindrücken in und von der PDS behaupte ich,
Ditfurths Diagnose ist verfehlt. Er meint, behaupten zu können: Das Projekt
PDS ist gescheitert. (S. 271) Den Beweis dafür bleibt er allerdings schuldig.
Da findet sich nichts auf den über 300 Seiten seines Buches.
André
Brie, Neues Deutschland, 16./17. Mai 1998
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Reise
in die Ostalgie
Der DDR-Bürgerrechtler Rainer Eppelmann über das PDS-Buch des Ex-Kommunisten
Christian von Ditfurth
Wenn
einer eine Reise tut, kann er was erzählen! Christian von Ditfurth ist
ein besonders reisefreudiger Zeitgenosse. Zuerst schaute er bei den CDU-"Blockflöten"
rein. Dann beehrte er die SPD mit seinem Besuch, um sich nach Kontakten zu
SED-Politikern zu erkundigen. Von den ostdeutschen Kirchen wollte er wissen,
was denn mit der "Kirche im Sozialismus" wirklich gemeint war und
begegnete eisigem Schweigen. FDP und die Bündnisgrünen blieben bis
jetzt unbesucht; aber das kann ja noch kommen. Mit dem neuen Buch "Ostalgie
oder linke Alternative" meldet sich der Publizist von einer langen Reise
durch eine noch immer gegenwärtige Vergangenheit zurück. Ich kann
nur raten: Lesen Sie dieses Buch gerade jetzt, wo man in Magdeburg um jeden
Preis neue Formen des vertrauensvollen Miteinanders von SPD und PDS erzwingen
möchte.
In der linken Szene kennt sich Ditfurth bestens aus. Von 1973 bis 1983 gehörte
er der DKP an. Der gelernte Historiker erkannte jedoch, linke Politik und
SED-Hörigkeit passen nicht zusammen.
Er versteht sich aber auch heute noch als Linker: Darum hat er die "Erfurter
Erklärung" mit unterschrieben. Voreilig!? - Als er das tat, kannte
er die PDS wohl noch nicht richtig, sonst hätte er diesem Dokument in
der Tradition der kommunistischen "Volksfrontpolitik" nicht zustimmen
können.
Das PDS-Bild, das der Autor entwirft, ist von schmerzhafter Genauigkeit. Die
PDS als die "Partei Der Sozialismusvertriebenen" hat sich nicht
erneuert, "sie leistet sich Erneuerer in der Führung". Originalton
Ditfurth: "Betrachtet man die Mitgliedschaft, dann ist die PDS im Osten
nicht entstalinisiert und im Westen eine Sekte. Auf diesem Fundament stehen
die Genossen Bisky, Gysi und Brie und führen dem staunenden Publikum
den demokratischen Sozialismus vor. Bei aller guter Absicht, das grenzt an
Roßtäuscherei."
"Die PDS", so der Publizist, "ist die Partei der einstigen
Träger des SED-Systems, der Militärs, der Ideologen, Wissenschaftler,
Lehrer oder Künstler." Zusammengehalten wird "diese Milieupartei
( ... ) lediglich durch Ressentiments und die Absicht, ostdeutsche Biographien
zu verteidigen". Seit dem 26. April wissen wir, daß mit dieser
Masche auch Parteien vom rechten politischen Rand in den neuen Ländern
beängstigende Prozentzahlen erreichen.
Allerdings: Bei der PDS geht es um die Ressentiments der Greise. Daran ändert
auch die jugendliche PDS-Genossin Sahra Wagenknecht nichts - "die hübsche
Frau mit den häßlichen Gedanken". Die DVU dagegen schlachtet
die Frustrationen der Jugend aus.
Der Historiker fragt die PDS nach der Überwindung des Stalinismus, dem
Unrechtsstaat DDR, aber auch nach dem Stasi-System, dessen Mitarbeiterschaft
achtzigmal so groß wie die des Verfassungsschutzes war. Unmißverständlich
heißt es auf entsprechende Anfragen auch: "Doch, man kann umsonst
gelebt haben. Nämlich dann, wenn man einer schlechten Sache gedient hat,
auch wenn man dafür die besten Gründe nennt."
Ditfurth träumt von einer Integration der Sozialismusvertriebenen in
das demokratische System der Bundesrepublik. Er züchtigt die Genossen
so grausam, um sie zu bessern! Da muß sich die PDS allerdings noch grundlegend
ändern. In seinem Buch ist im Detail nachzulesen, weshalb diese Partei
für Demokraten bis auf weiteres nicht akzeptabel sein kann.
Rainer
Eppelmann, Focus, Nr. 21/1998
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Zu
simpel: Kluge Reformer - doofe Basis
Christian
von Ditfurths Buch trägt den Untertitel »Meine Reise durch die
PDS«; der Verlag verspricht eine »abenteuerliche Reise durch Politik,
Geschichte und Ideologie von Deutschlands interessantester Partei«.
Das Fazit dieser Studie lautet, die PDS habe »durch die Ausstrahlungskraft
vieler programmatischer Aussagen und von Persönlichkeiten wie Gysi, Bisky
oder Brie viele Linke ( ... ) an sich herangezogen. Und erstickt so Keime
einer antistalinistischem, sozialistischen Entwicklung. ( ... ) Die PDS greift
linke Ideen auf, schreibt sie in ihre Programme und Erklärungen und kompromittiert
sie schon dadurch. Das ist der bislang letzte Akt der Tragödie der deutschen
Linken.« (S. 276) Die Sympathie des Autors gilt - das ist ja durchaus
nachvollziehbar - Personen wie Gysi, Bisky und Brie. Dieses »Erneuerertrio«
stehe allerdings ziemlich allein auf weiter Flur und nutze den nostalgischen
Rest und nähre so die Illusion, man könnte auf dieser Basis sozialistische
Politik machen.
Wie diese Basis aussieht, hat der Verfasser in den Jahren 1989 bis 1997 analysiert
und nennt die Stationen seiner Reise: die Kommunistische Plattform, das Marxistische
Forum, Zusammenschlüsse wie ISOR (Initiativgemeinschaft zum Schutz der
sozialen Rechte ehemaliger Angehöriger bewaffneter Organe und der Zollverwaltung
der DDR e.V.), GRH (Gesellschaft zur rechtlichen und humanitären Unterstützung)
und GBM (Gesellschaft zum Schutz von Bürgerrecht und Menschenwürde),
»die dritte im Bund der dubiosen Vereinigungen« (S. 127).
Der ernst zu nehmende Teil des Buches, in dem Ditfurth den Stalinisierungsprozeß
der KPD unter Thälmann nachverfolgt und auch die Frage nach der Legitimität
von SED- und DDR-Gründung diskutiert, den Vereinigungsprozeß von
KPD und SPD differenziert ausleuchtet, ist, wenngleich nicht neu, so doch
lesenswert.
Widerspruch provoziert dennoch die Wertung, wonach der Versuch einer gesellschaftlichen
Alternative in Form der DDR nach Ditfurth nicht legitimierbar sei, weil es
sich dabei
1. um Okkupationssozialismus (von der SU aus macht- und sicherheitspolitischen
Gründen unter Stalin veranlaßt);
2. um eine nicht demokratisch gerechtfertigte Staatsgründung handelte;
3. es kein Rechtsstaat und
4. aufgrund des Ausschlusses der Bevölkerung von der realen Machtausübung
es auch keine moralisch legitimierte Gesellschaft war.
Nun sind das alles keine DDR-Spezifika. DDR-spezifisch war lediglich eins:
Die Behauptung einer gesellschaftlichen Alternative zu einem anderen deutschen
Staat. Die DDR hatte nur dann eine Berechtigung, wenn sie grundsätzlich
anders war als die alte Bundesrepublik. Und das war sie weiß Gott! Im
Guten wie im Bösen. Das heißt, sie definierte sich von Anfang an
gegen die Bundesrepublik. Nur das erklärt eine Vielzahl ihrer Grundzüge
und der Verhaltensweisen ihrer Bürgerinnen und Bürger - teilweise
bis heute. Es erklärt auch den Druck auf Veränderungen innerhalb
der Entwicklungsgeschichte der DDR (die bei Ditfurth kaum eine Rolle spielen)
und auch sture Beharrungen, die sich aus dieser Konfrontation ergeben. Die
oben genannten Kriterien zur Beschreibung der DDR stimmen zweifelsohne, erklären
aber nichts, vor allem sagen sie nichts über das Verhältnis der
DDR-Bürgerinnen und -Bürger zu diesem Staat.
Auch Ditfurth - und das ist das Bedauerliche an diesem Buch - zeichnet mit
an einem rückblickenden DDR-Bild, das m. E. zwei Ziele verfolgt:
1. Einen offiziösen Darstellungsrahmen zu liefern zur Beurteilung der
DDR, innerhalb dessen sich zu bewegen hat, was anerkannt sein will, political
correctness also.
2. Aus der Umkehrung dieser Defizite der DDR ergibt sich dann folgerichtig
die Überlegenheit des demokratischen Rechtsstaates BRD mit Teilhabe der
Bevölkerung an der Machtausübung.(!) Das aber ist genau die Legitimierung
einer westdeutschen Führungsschicht im Osten, des nahezu kompletten Elitenwechsels,
der im Osten stattgefunden hat.
Die Delegitimierung des (gescheiterten) Versuchs DDR von Anfang an ist eine
Rechtfertigung, ob man will oder nicht, dieser Art des Anschlusses von 108
000 qkm Grund und Boden, die leider bewohnt sind.
Ebenso folgerichtig wird dann die PDS ein ostdeutscher Heimatverein zur Verteidigung
falsch gelebten Lebens. Unverständlicherweise haben sich einige (wenige)
kluge Köpfe (immer die drei mehrfach Genannten) in diesen Nostalgieclub
vernarrt und versuchen nun, daraus - zum Leidwesen der deutschen Linken -
moderne sozialistische Politik zu machen: »Die Reformer laufen über
Sumpf. So etwas ist noch nie gut gegangen.« (278)
Der Zustand der PDS ist nicht schön zu reden. Und von einem Durchreisenden
ist auch kein Wohlwollen einzuklagen. Vom Historiker kann wohl aber auch im
Hinblick auf eine politische Bewegung das Benennen von Ursachen und Wirkungen
erwartet werden. Trotziges Bestehen auf dem Recht auf gerechte Bewertung des
eigenen Lebens entsteht nur, wenn dieses bestritten wird. Wer an sich selbst,
an Kindern und Enkeln erlebt hat, daß nichts zählt, was im Osten
galt, wird unter Umständen auch ungerecht, vor allem aber unproduktiv.
Wer das aber nicht einbezieht in die Beurteilung derer, die nicht ankommen
wollen in dieser Bundesrepublik, übersieht die Ursache von Trotz und
Widerstand. Denn er reflektiert nicht, daß ein Großteil der Bewohnerinnen
und Bewohner von Neufünfland nicht ankommen durfte in dieser heilen Welt
der besseren Deutschen. Die Hürden standen hoch für diejenigen mit
der Ungnade der falschen Geburtsorte. Aber Demütigung schafft nicht Demut.
Freilich, mit Trotz kann man dauerhaft keine Politik machen.
Keine Antwort hat Christian von Ditfurth darauf, wieso der beschriebene Nostalgieverein
PDS mit reformerischer Spitze im Osten Wahlergebnisse einfährt, die um
die 20 % liegen. Die Mischung aus Milieuverbundenheit und geschickter Wahlkampagne
kann ja nicht ernsthaft als Erklärung gemeint sein. Seriöse WählerInnen-Analysen
zeigen, daß es bei weitem nicht die sogenannten Wendeverlierer sind,
die die PDS im Osten stark machen, sondern diejenigen, die »angekommen«
sind in der Bundesrepublik. Aber gerade sie sind es, die auf Kritikwürdiges
stoßen in diesem »Paradies, in das sie vertrieben« wurden.
Sie haben den Anspruch, Kritikwürdiges kritisieren, Veränderungswürdiges
verändern, Notwendiges im Sinne einer Zukunftsfähigkeit entwickeln
zu dürfen - auch wenn man aus dem Osten kommt. Das ist schwer angesichts
der Verführung, vor allem Unrecht zu thematisieren, das zuhauf geschehen
ist beim Basteln an den »blühenden Landschaften«. Und mancher
bleibt mit der Lebenserfahrung aus einer bipolaren Welt bei der Kritik des
gegenwärtigen Unrechts stecken, wohl wahr. Nur, dies nicht zu benennen
und den alten weißhaarigen freundlichen Herrn zu zitieren, der immer
nur das Unrecht »der anderen Seite« auflistet, ist auch eine Form
der Unredlichkeit. Dann bleibt eben außerhalb der Beschreibung ein Umgang
mit einer Armee, deren Angehörigen vom jetzigen Oberaufarbeiter des SED-Unrechts
zumindest ein Abgang in Würde versprochen wurde, von dem wenig blieb
- auch das ein Grund für die Existenz von ISOR. Es gibt eben nicht nur
einen Faktor 0,7 (Rentenberechnung für ehemalige MfS-Angehörige),
über den Ditfurth sich äußert. Es gibt auch noch einen Faktor
1,8. Und der gilt für alle Hochschulabsolventen aus der DDR. Ein Grund
für die Existenz der GBM.
Der Anschluß der DDR hat so und nicht anders stattgefunden, ohne nennenswerten
Protest der demokratischen, entstalinisierten Westlinken. In Erinnerung bleibt
der Protest eines Günter Grass (»Ein Schnäppchen namens DDR«)
und einiger weniger anderer. Und dieser Anschluß ist gleichzeitig auch
der Fonds, vor dem die Erneuerung der PDS stattfinden mußte. Daß
sie nur unvollständig, punktuell und vor allem konferenzmäßig
ablief, ist leider wahr; daß gegenwärtig eine Phase von Restauration
und gerade in bestimmten Strukturen wie eben in vielen Basisgruppen Stagnation
eingetreten ist, kann nicht bestritten werden. Kritik von außen kann
hilfreich sein, vor allem wenn sie eigenes Tun impliziert. Aber hier war wohl
von der Linken der alten Bundesrepublik auch nicht so viel zu erwarten wie
anfangs erhofft. Die hatte sich nach ihrem 68-er Aufruhr schnell von ihren
Protagonisten verabschiedet und lieber die angebotenen Lehrstühle an
den Universitäten besetzt. Nun analysiert sie die Beliebigkeit der Postmoderne
und ist kritisch distanziert gegenüber einem Staatswesen, mit dem sie
sich als unveränderbar abgefunden hat.
Christian von Ditfurth erklärt, die PDS nicht zu wählen. Das steht
ihm frei. Für die Feststellung, das Experiment PDS sei gescheitert, scheint
seine Datenbasis freilich ein wenig schmal, wenn er genüßlich davon
spricht, »künftigen Junggenosssen (dürfte) ein Besuch in einer
PDS-Basisgruppe in Pirna, Friedrichroda oder Malchin genügen, um ein
für allemal Reißaus zu nehmen«. (274) Denn Prognosen, um
einen Meterologen zu zitieren, sind bekanntlich immer schwierig,vor allem
aber, wenn es um die Zukunft geht.
Larissa
Schippel, Disput, Nr. 5/1998
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Eine
"kleine sozialistische Oase"
Buchautor Christian von Ditfurth unternahm eine "Reise" durch die
PDS
Selten
präsentiert sich die Junge Union vor der Berliner Volksbühne. Heute
dagegen verteilt dort eine Gruppe adrett gekleideter Mitglieder der CDU-Nachwuchsorganisation
sogar Flugblätter. Unkommentiert sind darauf Zitate aus einem jetzt erschienenen
Buch von Christian von Ditfurth aneinandergereiht. Unter dem Titel "Ostalgie
oder linke Alternative" hat der Autor, selbst zehn Jahre lang DKP-Mitglied,
nach einer zweijährigen "Reise" durch die PDS versucht, den
Charakter der Partei zu ergründen.
In der Volksbühne haben auf dem Podium vier Politiker Platz genommen,
die mit dem Autor über das Buch diskutieren wollen: Steffen Reiche, Brandenburgs
SPD-Landeschef, PDS-Vorstandsmitglied Michael Schumann, der Bürgerrechtler
Wolfgang Templin und Günter Nooke. Nooke, kürzlich vom Bündnis
90 in die CDU übergetreten, kandidiert hier, in Berlins Mitte, als Bundestags-Direktkandidat
für die Christdemokraten.
Autor von Ditfurth läßt die PDS von Anfang an nicht als Partei
durchgehen. Sie sei vielmehr Mitbringsel des Ostens, eine kleine sozialistische
Oase. Die PDS diene lediglich dazu, mit "Schlußstrichmentalität"
Biographien zu legitimieren. Woraus der Autor schlußfolgert, die PDS
sei nicht links, sondern reaktionär.
Schumann räumt ein, daß die Partei viele ältere Mitglieder
habe, die in der SED großgeworden sind. Es sei aber legitim, so der
PDS-Spitzenmann, daß sie ihre eigene Lebensleistung verteidigten. Der
DDR habe es nicht freigestanden, eine parlamentarische Demokratie einzuführen.
Steffen Reiche spricht wenig. Er bewundere die Leidensfähigkeit Ditfurths,
der sich erst in einem Buch mit den Blockparteien auseinandergesetzt und jetzt
auch noch "das Original" erlebt habe. Es sei das Schicksal der PDS,
daß sie selbst dem Ziel im Weg stehe, das sie zu vertreten vorgebe:
linker Politik. Das Magdeburger Modell kennzeichnet für den Sozialdemokraten
Reiche jedenfalls die Grenze denkbarer Zusammenarbeit von SPD und PDS.
Günter Nooke lobt von Ditfurths Buch. Mit erhobener Stimme gibt er sich
sichtbar Mühe, die PDS als eine Gefahr für die Bundesrepublik darzustellen.
Nooke bezieht sich dabei auf das vorliegende Buch, doch der Autor weist diese
Interpretation weit von sich. Publikum und Podium zeigen wenig Sympathie für
Nookes Wahlkampf, allein die Junge Union applaudiert dem CDU-Mann.
Christian von Ditfurth läßt in der Runde an diesem Abend keine
Gelegenheit aus, sich selbst als einen "objektiven Beobachter" der
PDS-Szene darzustellen. In seinem Schlußwort bricht er jedoch noch einmal
den Stab über die Partei: "Die PDS absorbiert in Deutschland alle
linken Gruppen und diskreditiert sie dadurch. Das ist ein echtes Dilemma."
Joachim
Pohl, Märkische Allgemeine, 21. März 1998
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Christian
von Ditfurths Reise durch die PDS
Zwei Lesarten
(1)
An Büchern über die PDS herrscht kein Mangel. Da sind Schriften
aus dem Umfeld des PDS-Gegners Patrick Moreau und die Jubelschriften aus dem
Dunstkreis der Partei selbst. Auf einem Schlingerkurs dazwischen findet die
Reise von Ditfurth statt.
Das Buch widmet den Schwerpunkt seiner Beschreibungen den Innen-Ansichten
der Partei, d. h. den Meinungen von PDS-Mitgliedern über sich und die
Welt. Das ist ein Ausflug durch Mythen und Lebenslügen. Der Autor nennt
die Dinge schonungslos beim Namen: den Antifaschismus, die Errungenschaften,
das Unrechtssystem, den Mauermythos und die Legenden von den Biographien,
die man sich nicht kaputtmachen lasse. Scheingefechte mit umgewidmeten Begriffen;
Ditfurth läßt nichts aus; mit kalter Argumentation räumt er
auf - ein wenig Betroffenheitsgedusel blickt aber auch durch, wenn er auf
seinen schmerzhaften Abschied von der DKP zu sprechen kommt. Das ist natürlich
auch Argumentationsersatz für den, der es nötig hat: Schaut her,
ich habe mich auch befreit.
Doch dann, auf Seite 241, man beginnt bereits darüber nachzudenken, daß
nichts neuesmehr kommen kann, kommt die Wende: Ist die PDS eine kommunistische
Partei? Nein, sagt Ditfurth, und zählt auf, was der Parteivorstand ("die
Reformer") alles an Unkommunistischem zum besten gegeben hat: Man müsse
in der Bundesrepublik ankommen, Abschied von der Weltrevolution, das Ende
des Klassenkampfes. Was will man mehr. Doch die wortreichen Ausführungen
einschließlich der Begründung, daß es in Deutschland einer
echten linken Partei bedürfe, können nicht darüber hinwegtäuschen,
daß der Autor einen Argumentationsbruch vorführt. Oder wie soll
das zusammenpassen, wenn auf 200 Seiten erzählt wird, daß die Masse
der PDS-Mitglieder dumpf den Rezepten von einst verhaftet sei, daß sie
den jetzigen Vorstand mit seinen demokratischen Eskapaden nur aus Not duldeten.
Hier sind also Fragezeichen angebracht: Entweder der Vorstand führt eine
Partei nach nicht-kommunistischen Grundsätzen, oder er verkündet
Weisheiten, die von einer Mitgliedschaft, die im übrigen anderer Meinung
ist, aus taktischen Erwägungen geduldet wird. Stimmt letzteres, dann
ist Ditfurths Folgerung sehr fraglich, da er selbst den Mitgliedern einen
anderen Bewußtseinsstand attestiert.
Fazit: gut lesbar, interessantes Material, zwiespältige Folgerungen.
+++
(2)
Spiegel-Autor Christian von Ditfurth hat ein sehr persönliches, gründlich
recherchiertes Buch über die PDS geschrieben. In den siebziger Jahren
war von Ditfurth Kommunist, besuchte die Parteischule in Ostberlin und ist
bis heute nicht bereit, sich von linken Idealen zu trennen. Daher mißt
er die Partei PDS an ihren Programmen und Ideen, vor allem aber an ihren Personen.
Sein Fazit ist: "Das Projekt PDS ist gescheitert."
Von Ditfurth geht unter verschiedenen Blickwinkeln an das Phänomen PDS
heran. Er untersucht Programmatik, Organisation, Strategie und Geschichte
der PDS. Dabei folgt er nicht der strikten linearen wissenschaftlichen Methode,
sondern geht vielmehr von Personen und ihren Ideen aus. Dieses Vorgehen erweist
sich als ausgesprochen glücklicher Ansatz, zumal von Ditfurth über
intime Kenntnisse der Geschichte der kommunistischen Bewegung verfügt.
Außerdem bemüht er sich, jedem seiner vielen Gesprächspartner
gerecht zu werden. In einer gelungenen Mischung aus akribischer Analyse und
subjektiver Schilderung entsteht ein Porträt der PDS, das wissenschaftlichen
Ansprüchen genügt und zugleich lesbar und spannend ist.
In der PDS gibt es eine moderne reformsozialistische Führung und eine
"graue Realität an der Basis", stellt von Ditfurth fest. So
zieht sich die Schilderung des Konfliktes von Modernisierern und der vorherrschenden
ostalgischen Grundströmung als Grundthema durch das Buch. Gleich welche
Aspekte der Autor beleuchtet, immer wieder stößt er auf diesen
Widerspruch, den die PDS-Führung nur mittels eines Spagates beherrscht.
Ein großer Teil des Buches ist den rückwärts gewandten Kräften
in der PDS gewidmet. Die Kommunistische Plattform, das Marxistische Forum,
Verteidiger der Stasi und die "filbingernden" Freunde der verurteilten
Parteiführung betrachtet von Ditfurth mit sachlicher Distanz und setzt
sich ausführlich mit ihren Argumenten auseinander. Dabei schont er beim
Thema "Rentenstrafrecht" und bei der Erörterung der Ziele der
ISOR auch die herrschende Politik nicht (S. 121 ff.). Die MfS-Angehörigen
würden "doppelt diskriminiert" meint er, wendet sich dann aber
dagegen, daß jene sich "als Opfer aufspielen". Immer wieder
den Bogen zur PDS-Führung spannend, macht er so vor allem dem westdeutschen
Leser die Aktionsfelder der Politik in Ostdeutschland transparent. Das Bemühen,
den Politikern der PDS gerecht zu werden, führt jedoch auch gelegentlich
zu merkwürdigen Argumentationslinien. So macht sich von Ditfurth die
Märtyrerlegende des Gerhard Riege zu eigen. Riege erhängte sich
wegen seiner Stasi-Vergangenheit, von Ditfurth macht - wie die PDS - Haß
und Ausgrenzung für Rieges Tod verantwortlich.
Deutlich distanzierter geht von Ditfurth an den Streit um die Geschichte der
Arbeiterbewegung heran. Als ausgewiesener Fachhistoriker folgt er den Mythen
und Legenden der Parteihistoriker von SED und PDS selbstverständlich
nicht. Immer wieder legt er den Finger auf die Wunden, die sich die Kommunisten
durch permanentes Säubern und Ausmerzen selbst zufügten. Auch den
Antifaschismus und die Mythen um Thälmann unterzieht von Ditfurth einer
gnadenlosen Prüfung. Er mißt sie an den selbstverkündeten
Idealen und kommt zu dem Schluß, daß weder der Antifaschismus
noch die Person Thälmanns positive Ansätze verkörperten. Denn
von Ditfurth meint, daß im Antifaschismus "nicht nur das Gegen,
sondern auch das Für" stecke. Antifaschismus hieße, "sich
dafür einzusetzen, daß die Lebensverhältnisse der Menschen
human und demokratisch sind". (S. 187 f.) Diese Feststellung mag als
Postulat des linken Idealisten von Ditfurth und pädagogischer Hinweis
an die PDS durchgehen, ist jedoch fragwürdig. Ebensowenig vermag sich
von Ditfurth zu der Erkenntnis durchzuringen, daß revolutionäre
Praxis in Konsequenz stets zu diktatorischen Erscheinungen führt. Von
Ditfurth bleibt bei den Postulaten Rosa Luxemburgs stehen, die zwar für
die PDS wegweisend sein müßten, aber keineswegs zur Analyse diktatorischer
Bewegungen taugen.
Kapitel zur Strategie der PDS, insbesondere zur Zusammenarbeit mit der SPD
(Koalition, Erfurter Erklärung) und zur Westausdehnung, beschließen
das Buch. Das Urteil von Ditfurths ist vernichtend. Den Konzepten der Modernisierer
bescheinigt er Chancen für eine Renaissance der Linken in Deutschland.
Doch er stellt fest, daß im "Inneren das Rad zurückgedreht
wird". "Die PDS", so meint er, greift linke Ideen auf, schreibt
sie in ihre Programme und Erklärungen und kompromittiert sie schon dadurch.
Das ist der bislang letzte Akt der Tragödie der deutschen Linken."
In Anbetracht dessen, daß der Autor mit den Ideen der PDS sympathisiert,
sollten bei all jenen die Alarmglocken schrillen, die die PDS in einem demokratischen
System für regierungsfähig halten.
Thüringer
Landesamt für Verfassungsschutz, Monatsbericht, Mai 1998
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PDS
- Grau in Grau
So
wie sie ist, ist die PDS keine Partei für Menschen, die linke Politik
machen wollen. Dieses Fazit zieht der Publizist Christian von Ditfurth in
seinem neuen Buch "Ostalgie oder linke Alternative" (erschienen
bei Kiepenheuer und Witsch, 314 Seiten, 39.80 DM). Unter der weiter rapide
schrumpfenden Mitgliedschaft dominiere der Blick zurück im Zorn, das
moderne Erscheinungsbild sei nicht mehr als eine trügerische Fassade.
Die Partei, so die bittere Analyse, "hat sich nicht erneuert". An
der Basis habe sich die Argumentation durchgesetzt, "man habe erstens
von nichts gewußt, zweitens habe man früher unbehelligt auf die
Straße gehen können und drittens müsse endlich Schluß
sein mit der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit". Gegen das von
einigen angedachte Konzept eines neuen Gesellschaftsvertrages brach ein Sturm
der Entrüstung los. Stalinistische Positionen erkennt Ditfurth nur bei
einer kleinen Minderheit der PDS, insofern ist der pragmatische Kurs im Alltag
der Landes- und Kommunalparlamente nicht verwunderlich. Das eigentliche Problem
der PDS ist eine spezifische Mischung aus geistiger Unbeweglichkeit, dumpfen
Ressentiments und starrer Rückwärtsgewandtheit.
SPD-Intern,
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Hilfloser
Antistalinismus
Christian v. Ditfurths PDS-Kritik ist engagiert, aber widersprüchlich
Das
jüngst erschienene Buch des politischen, sich selbst links verstehenden
Journalisten Christian von Ditfurth ist eine gleichermaßen engagierte
und zutiefst bittere Abrechnung mit der PDS. Vor allem zeigt es exemplarisch
Stärken und Schwächen einer bestimmten westlinken Kritik an der
PDS auf, mit der sich auseinanderzusetzen gerade für jene lohnt, die
der Partei in westlinker, kritischer Sympathie mehr oder weniger nahe stehen.
Für Ditfurth ist das Projekt einer linksalternativen, demokratisch-sozialistischen
Partei gescheitert - im Osten an ihrer mangelnden Entstalinisierung, im Westen
an den die Parteistrukturen dominierenden Sekten. Spätestens der Beschluß
des Parteivorstandes zum Krenz-Urteil ist ihm das Zeichen, daß die Neostalinisten
und sogenannten Ostalgiker um die Kommunistische Plattform (KPF) und das"
Marxistische Forum" die Partei mittlerweile fest im Griff haben. Doch
nicht die glänzenden, mal mehr, mal weniger gelungenen Charakterisierungen
einzelner Akteure und Strömungen machen die Substanz des Buches aus.
Seine Stärken und Schwächen liegen in der Analyse der politischen
Stagnation der PDS und in der argumentativen Auseinandersetzung mit den nach
Ansicht Ditfurths mittlerweile dominierenden Ostalgikern.
Ostalgie:
Relativierung des Stalinismus
Im
Zentrum des alles beherrschenden Roll-Back steht (nicht nur) für ihn
die Stalinismusdiskussion: "Den Gegenreformern um das Marxistische Forum
und die KPF ist es gelungen, den Stalinismusbegriff auszuhöhlen. Gewissermaßen
weiß die Partei gar nicht mehr, was Stalinismus überhaupt ist.
( ... ) Gibt man zu, daß die DDR stalinistisch war, stellt man sie in
die Linie eines Verbrecherregimes. Dann aber kann man den Vorwurf nicht mehr
zurückweisen, daß die DDR ein Unrechtsstaat war. Und wenn die DDR
ein Unrechtsregime war, dann wirft das zumindest ein schlechtes Licht auf
jene, die in der DDR Partei- und Staatsfunktionen innehatten oder auch akademische
Titel erwarben." Und so wich die Orientierungslosigkeit der beharrenden
Kräfte anfangs der 90er Jahre einer "War doch alles nicht so schlimm"-Haltung,
in deren Mittelpunkt eine zuerst historische, schließlich auch juristische
Relativierung der alten DDR-Zustände fröhliche Urständ feiert.
Ditfurths Stärke liegt darin, die innerparteilichen Debatten auf ihren
harten, in der Regel verklausulierten Kern zurückzuführen und diese
inhaltlich bestimmten Positionen ausführlich anzugreifen. Handelte es
sich beim Stalinschen Terror lediglich um Exzesse und Fehler? Aber der Terror
hatte nicht nur System, auf ihm beruhte das ganze System - läßt
sich also nicht davon loslösen: "Die Vernichtung eines beträchtlichen
Teils der eigenen Bevölkerung war keine bedauerliche Begleiterscheinung
des sozialistischen Aufbaus, sondern seine Bedingung." Jede Diskussion
über das Aufbewahrenswerte der ehemaligen Gesellschaftsordnung, die nicht
zuallererst hierauf rekurriert, darauf beharrt Ditfurth mit Eloquenz, ist
Apologie von Herrschaft und Unterdrückung, Apologie eines Okkupationssozialismus,
und kann folglich als vermeintlich demokratischer Sozialismus kaum ernst genommen
werden.
Ditfurth beharrt zu Recht darauf, daß die DDR samt und sonders undemokratisch
gewesen ist. Es gab keinerlei demokratische Partizipation, keinerlei aktive
Zustimmung der Bevölkerung in demokratischen Verfahrensweisen. "Ein
demokratischer Sozialist fragt nicht danach, ob ein Politbüro sich an
die von ihm selbst gesetzten Regularien hält. Sondern danach, ob es demokratisch
zugeht." Eine interpretationsbedürftige Aussage (ich komme darauf
zurück), aber als solche vollkommen korrekt. Sicherlich war die DDR völkerrechtlich
legitimiert, doch daraus folgt nicht notwendigerweise schon demokratische,
moralische oder historische Legitimität. Doch was ist mit den antifaschistischen
Grundlagen der Ex-DDR? Ditfurth legt die Finger in die Wunde, wenn er auf
die Zeit des Hitler-Stalin-Paktes, die damit verbundene praktisch-politische
Stillhaltepolitik der damaligen Kommunisten und ihre ideologische Verwirrung
als Beispiel mangelnden Antifaschismus verweist. Auch die Entnazifizierung
war ihm Ausfluß weniger von echtem Antifaschismus als vielmehr nacktes
Herrschaftsinstrument, Mittel zur Schaffung einer sozialen Basis für
die neue bürokratische Schicht: "Die Tragödie des kommunistischen
Antifaschismus besteht darin, daß er am Ende dazu diente, eine Diktatur
zu rechtfertigen." Solche Worte mögen weh tun, sind aber eine Wahrheit,
die in linken Kreisen viel zu selten betont wird.
Fragt Ditfurth auf seiner Reise nach den Gründen dieser oftmals sehr
subtilen Form von Legitimationsideologie, so läßt sich von den
Betreffenden vernehmen: "Ich kann doch nicht umsonst gelebt haben".
Doch er bleibt in seinem moralischen Rigorismus unerbittlich und spricht von
selbstverschuldeter Blindheit: "Man gibt seinem Leben keinen Sinn, wenn
man einer schlechten Sache gedient hat und sich darüber nicht bewußt
werden will."
Grenzen
der moralischen Kritik
Die
Grenzen des Ditfurthschen Ansatzes werden allerdings deutlich, sobald wir
fragen, welche Konsequenzen er aus seiner Analyse zieht. Für ihn wäre
es ein Zeichen erneuerten demokratischen Sozialismus, solche Leute auszuschließen.
Hier haben wir dann jenes argumentative Zentrum betreten, in dem eine verkürzte,
materialistisch nicht gesättigte Moral in ihr notwendiges Gegenteil,
in Repression umschlägt.
Moralische Kritik gibt es nicht unabhängig von politisch-theoretischen
Grundlagen. Und eine moralische PDS-Kritik, wie sie Ditfurth präsentiert,
ist nur glaubwürdig und konsistent, wenn sie von einem demokratisch-sozialistischen
Standpunkt aus vorgetragen wird und sich nicht auf Moral allein begrenzt.
Bei beidem muß Ditfurth passen.
Fangen wir mit dem letzteren an, mit der Moral. Eine politische Bewertung
der Ostalgie, die über die rein moralische Kritik hinausgehen möchte,
muß sich über deren gesellschaftliche Grundlage und Dynamik Rechenschaft
ablegen. Ditfurth kennt sie, er führt sie am Anfang seines Buches an:
Der Neostalinismus von KPF und schweigender Parteimehrheit war nicht ursprünglich,
er hat sich erst langsam entwickelt, als Reaktion auf die gescheiterten Hoffnungen
nach 1990, auf wirtschaftliche und soziale Zerrüttung und als Reaktion
auf den vermeintlichen Anpassungs- und Integrationskurs der Parteiführung
an und in den Westen, von dem sich viele im Osten an den Rand gedrängt
fühlen.
Ditfurth kann jedoch mit dieser Erkenntnis nicht viel anfangen, wenn er gleichzeitig
suggeriert, daß es sich bei dieser Entwicklung vor allem um geschickte
Tarnung der Neostalinisten handele. Das Problem ist eben nicht nur der entlarvte
Neostalinismus, es sind auch die gesellschaftlichen Verhältnisse, die
ihn blühen lassen. Die Forderung, die Illusionen über einen Zustand
aufzugeben, ist die Forderung, einen Zustand aufzugeben, der der Illusion
bedarf, hat einmal ein schlauer demokratischer Sozialist geschrieben. Das
heißt eben auch, daß man solche Mentalitäten nicht durch
Ausschluß oder gesellschaftliche Ächtung auflöst, sondern
durch "Aufklärung und Aktion" (Rudi Dutschke), durch Freilegung
jenes harten rationellen Kerns, der in solcher Ideologie sich versteckt, sowie
durch dessen Aufhebung in einer wirklich demokratisch-sozialistischen Weltsicht.
Kommen wir also zum zweiten, dem demokratisch-sozialistischen Standpunkt.
Ditfurth entwickelt ihn lediglich in Ablehnung der "restaurativen Kräfte".
Denen sei, so sein Vorwurf, "der anzustrebende Sozialismus keine Fortentwicklung
der Demokratie und ihrer Institutionen, sondern ein scharfer Bruch mit der
bürgerlichen Gesellschaft". Statt dessen sieht er in den Konzepten
der PDS-Modernisierer "Chancen für eine Renaissance der Linken in
Deutschland. Sozialistische Politik im 21. Jahrhundert müßte zurückgreifen
auf ihre Ideen der Demokratisierung, der Eigentumsvielfalt, der Zivilisierung
und des ökologischen Umbaus." Vor allem heiße dies jedoch,
daß man sich vom Klassenkampfdenken als solchem verabschiede, betont
er des öfteren.
Deutlich wird hier, daß das ehemalige DKP-Mitglied Christian von Ditfurth
über keinen eigenen Begriff von Sozialismus verfügt. Sozialismus
ist ihm schlicht Demokratisierung bürgerlicher Gesellschaftsstruktur,
die Modernisierer sind ihm "dort angekommen, wo Eduard Bernstein vor
hundert Jahren schon war" - ohne daß ihn dies irgendwie stutzig
machen würde. "Ich halte die politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse
im neuen Deutschland für veränderungswürdig", schreibt
er in entlarvender Unbestimmtheit und denkt offensichtlich nicht über
den gesellschaftlichen Konsens von Kohl, Schröder und Fischer hinaus.
Wo bleibt hier, muß gefragt werden, das Sozialistische im demokratischen
Sozialismus? Und wo bleibt der Zorn gegen eine neoliberal verkommene Gesellschaftspolitik
- noch immer notwendiges Minimum eines wie auch immer verstandenen demokratischen
Sozialisten? Ein demokratischer Sozialist fragt eben nicht nur danach, ob
es demokratisch zugeht, sondern auch, wohin es denn gehen soll.
Daß eine solche moralische Stalinismuskritik nicht genügt, um dem
Gespenst des Neostalinismus mit Argumenten ernsthaft und konkret zu begegnen,
das sei zumindest an einem zentralen Beispiel verdeutlicht - am Beispiel der
von Ditfurth angeführten Kritik Sarah Wagenknechts an der Entspannungspolitik.
Wagenknecht sieht in der Chruschtschowschen Entspannungspolitik die "Einführung
des Opportunismus in die Politik". Verursacht durch die wirtschaftlichen
Kriegsfolgen und die dadurch ermöglichte erpresserische Drohung mit der
Atombombe, sei es schließlich zur Selbstauslieferung der Sowjetunion
durch Verräter, allen voran natürlich Gorbatschow, gekommen.
Was hat nun Ditfurth diesem gängigen neostalinistischen Klischee zu entgegnen?
Erstens, daß Materialisten Geschichte bekanntlich nicht mit Fehlern
von Subjekten erklären dürfen; zweitens, daß der Kommunismus
eben einfach am Zusammenbrechen gewesen ist. Welch eine schillernde Widerlegung!
Was fehlt, ist der Hinweis, daß die dem Chruschtschowschen und Gorbatschowschen
Denken zugrundeliegende Theorie eben jene Theorie des Sozialismus in einem
Lande und die daraus abgeleitete Politik friedlicher Koexistenz ist, die auf
niemand geringeren zurückgeht als eben jenen Stalin, für den die
Neostalinisten nicht müde werden, so viel Verständnis aufzubringen.
"Der Revisionismus ist seinem Ursprung nach stalinistischer", schrieb
schon Isaac Deutscher vor vielen Jahrzehnten. Eine demokratisch-sozialistische
Sichtweise, die Geschichte im Herrschaftsinteresse nicht umbiegen und verfälschen
will, wird deswegen an der Frage nach den gesellschaftlichen Interessen, an
der Frage nach den materialistischen Grundlagen bürokratischer Politik
nicht vorbei können. Jede Stalinismuskritik, die nicht vor allem und
zuerst auf das Problem der Bürokratie als herrschender Kaste eingeht,
verliert sich im Subjektivismus vermeintlich individueller Fehler bzw. individuellen
Verrats oder im fatalistischen Objektivismus der vermeintlich unreifen Verhältnisse.
Solcherart verbleibt sie notwendig in hilfloser Moral stecken.
Dies ist beileibe keine Geschichtsfrage, denn zu einer Einschätzung des
zeitgenössischen, Ditfurth so am Herzen liegenden Neostalinismus, vor
allem unter dem Blickwinkel seiner Bekämpfung, gehört eben die Frage
nach dessen aktuellen materiellen Grundlagen. So gesehen ist der Neostalinismus
einer Sarah Wagenknecht und anderer vor allem ein mentales Problem, denn es
gibt keine Institutionen organisierter Arbeiterbewegung, auf die er sich stützen
kann. Mentalitäten können und müssen jedoch auf rein argumentativem
Wege bekämpft werden, nicht auf administrativem.
Neostalinismus
im Parteiapparat
Der
teils mehr, teils weniger verkappte Neostalinismus ist eines der zentralen
Probleme in der Linken. Und Ditfurth verdient Lob dafür, mit vielen der
neostalinistischen Argumente tabula rasa zu spielen. Doch zum innerparteilichen
Strukturproblem wird der Neostalinismus nicht dadurch, daß große
Bevölkerungsteile einer Region aus "Ostalgie" Versatzstücke
des Neostalinismus adaptieren. (Haben wir ihnen denn Besseres zu bieten? Ditfurth
jedenfalls nicht!) Zum Problem wird er, wenn er sich mit einer institutionellen
Strategie verbindet. Hier verlassen wir dann die Hinterzimmer und müssen
den Blick auf diejenigen Teile der Partei richten, die in den staatlichen
Institutionen vorwiegend des deutschen Ostens sitzen.
Ditfurth weiß und betont dankenswerterweise, daß die PDS keine
Arbeiterpartei ist, keine Kommunistische Partei, und er gibt auch unumwunden
zu, daß ihre Zusammenarbeit mit der SPD "unsere Gesellschaft nicht
grundlegend ändern (würde)", er weiß sogar, daß
die Reformer nicht um der Sache wegen in die Regierungsverantwortung treiben,
sondern um "endlich aus dem Getto der SED-Vergangenheit herauszukommen.
Nur so gibt es eine Chance, die Partei zu verändern, die Ostalgiker zurückzudrängen,
die Genossen auf Ziele einzuschwören, die in der Zukunft liegen, statt
mit dem Blick zurück zu leben." Doch er fragt nicht nach jener problematischen
Verbindung von institutioneller Integration in die bürgerliche Gesellschaft
mit traditionskommunistischer, neostalinistischer Mentalität, wie sie
bspw. ein Dietmar Bartsch verkörpert, seines Zeichens Bundesgeschäftsführer
der PDS und neuerdings auch medial entdeckter vierter Mann in der Führungsriege
der Partei. Bartsch - ein Prototyp jener neuen im Osten Deutschlands verwurzelten
Garde von Parteitechnokraten, die hinter dem oftmals durchaus ehrenwerten
André Brie bereits Gewehr bei Fuß stehen - hat keine Probleme,
die vollständige soziokulturelle Integration in die Institutionen des
bürgerlichen Staates zu kombinieren mit heimlich gepflegter Sympathie
für die chinesischen Marktstalinisten. Konsequent intrigiert er auf administrativem
Wege gegen mißliebige westlinke PDS-Abgeordnete oder kanzelt seine Hamburger
Basis via Fernsehen in geradezu parteischädigender Weise ab. Für
Ditfurth dagegen ist Bartsch ein Gewährsmann der Reformer, auf dessen
Worte er sich ungeprüft verläßt.
Wenn solche Leute Beteiligung an bürgerlicher Regierungspolitik anstreben,
nur um ihre anders nicht in den Griff zu bekommenden Nostalgiker parteilich
zu isolieren, dann sollte ein demokratischer Sozialist hellhörig werden.
In seinem (individualpsychologisch erklärbaren) Haß auf Ostalgiker
und Westlinke ("Ladenhüter" ist noch eine der harmloseren Entgleisungen)
schließt Ditfurth die Augen vor solchen Konflikten innerhalb der PDS,
die ja nicht nur etwas über den demokratischen und sozialistischen Charakter
einer solchen Partei aussagen, sondern auch etwas über die strukturelle
Dynamik derselben.
In Ditfurths Buch erfahren wir zwar manches über einzelne Teile der Partei
und lesen viele gute Argumente gegen die Ostalgie. Aber eine Analyse der Partei
als Ganzem, ihrer Konstitution, Programmatik und Dynamik, wie auch der Gesellschaft,
innerhalb der sie agiert, suchen wir vergebens. Schade ist vor allem, daß
es dadurch vielen erleichtert wird, sich um die Diskussion der richtigen Argumente
herumzudrücken.
Christoph
Jünke, analyse & kritik, Nr. 416/1998
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Allgemeine][Monatsbericht
des Thüringer Landesamts für Verfassungsschutz][SPD-Intern][analyse & kritik][Deutschland Archiv][Zeitschrift
für Politikwissenschaft][Badische
Zeitung][Presseblick][Nordseezeitung][Frankfurter
Rundschau][DDR
im WWW]
[Seitenanfang][Das
Buch][Leseprobe][Homepage]
Keine linke
Alternative
Die Ebenen und Abgründe der PDS
Christian von
Ditfurth hat sie bereist. Sein Buch ist keine wissenschaftliche Abhandlung,
sondern ein flüssig geschriebener Führer durch die SED-Nachfolgepartei.
Der Autor, Jahrgang 1953, studierter Historiker, einst zehn Jahre lang DKP-Mitglied
und Jahreslehrgangsteilnehmer 1977 an der DKP-Parteischule in Ost-Berlin,
weiß, wovon er spricht. Er hat von 1989 bis 1997 in "Neufünfland",
im alten DDR-Gebiet, Gespräche mit PDS-Spitzenfunktionären und Mitgliedern
an der Basis geführt, an PDS-Veranstaltungen teilgenommen, Archive gesichtet
und Parteidokumente analysiert und seinen lebendigen Schilderungen 28 Seiten
mit Anmerkungen und Quellennachweisen sowie ein Personenverzeichnis beigefügt.
V. Ditfurth schreibt aus einer linken Position: Er hält die politischen
und wirtschaftlichen Verhältnisse in Deutschland für veränderungswürdig,
und von diesem Standpunkt die PDS zunächst für "Deutschlands
interessanteste Partei", die sie aber nach seinen Erfahrungen schließlich
selbst für linke Alternativsucher nicht ist: "Die Erneuerung der
PDS hat nur in wenigen Köpfen begonnen und bis heute die Parteimehrheit
nicht erreicht. Ihre Ansätze werden immer wieder zerrieben zwischen dem
Beharrungsvermögen der Parteibasis und den Schulterschlußbemühungen
der Führung, die es sich nicht gänzlich verderben will und kann
mit der Mitgliedschaft."
Enttäuscht stellt er am Ende seines Buches fest: "Auf dem geistigen
Niveau der Kritik Rosa Luxemburgs" ("Zur Russischen Revolution")
"sind die meisten PDS-Genossen nicht angekommen. Es ist auch zu bezweifeln,
daß sie es jemals tun werden. Sie wollen es nicht. ( ... ) Für
sie gilt nur die DDR, vorzugsweise der eigene biographische Ausschnitt. Sie
haben gewiß einiges zu kritisieren an der DDR - vor allem, daß
sie untergegangen ist. Aber sie halten doch tatsächlich die vierzig Jahre
unter Walter Ulbricht und Erich Honecker für das Maß aller Dinge.
In den Konzepten der Modernisierer dagegen steckten Chancen für eine
Renaissance der Linken in Deutschland. Sozialistische Politik im 21. Jahrhundert
müßte zurückgreifen auf ihre Ideen der Demokratisierung, der
Eigentumsvielfalt, der Zivilisierung und des ökologischen Umbaus. Doch
leider glauben Bisky, Gysi und Brie, sie könnten die Mitglieder und Möglichkeiten
einer ostdeutschen Volkspartei mit unbewältigter SED-Vergangenheit nutzen,
um moderne sozialistische Politik zu machen. In Wahrheit benutzt die Partei
ihre Aushängeschilder längst, um zu übertünchen, daß
im Inneren das Rad zurückgedreht wird."
Kann man die PDS so sehen? Man kann. Die Belege, nicht nur v. Ditfurths, sind
zu vielfältig, als daß man sie negieren könnte. Zur Mitgliedschaft
- über 67 Prozent sind heute über 60 Jahre alt - schrieb Hans Modrow,
vormals Erster Sekretär der SED-Bezirksleitung Dresden und kurzfristig
erster DDR-Nachwende-Ministerpräsident, heute Ehrenvorsitzender der PDS,
im Herbst vergangenen Jahres: "Als wir uns entschlossen, zusammen mit
all jenen SED-Mitgliedern, die nicht nur aus Karrieregründen jener Partei
angehörten, die nicht vor dem politischen Druck der Diskriminierung und
der antikommunistischen Hetze der Nachwendezeit zurückwichen, die PDS
aufzubauen, ging es in erster Linie um all jene, die mehr oder weniger Opfer
der Anschlußpolitik wurden und deren Interessenvertreter wir sein wollten"
("DispLit" 10/1997). V. Ditfurth dazu: "Die PDS ist die Partei
der einstigen Träger des SED-Systems, der Militärs, Ideologen, Wissenschaftler,
Lehrer oder Künstler. ( ... ) Sie empfanden den fundamentalen Mangel
an Demokratie nicht als Verlust. Sie haben die autoritären Strukturen
der SED und des DDR-Staats als richtig empfunden."
Von einer PDS-Versammlung mit Gysi und Bisky im riesigen Kultursaal des Eisenhüttenkombinats
Ost an der Oder 1991 berichtet er: "Kampfesstimmung gegen den 'Anschluß'
und seine sozialen Folgen. Kein Sterbenswörtchen über die SED vom
Podium, keines aus dem Kreis der vielleicht knapp tausend Anwesenden. Mir
kam es vor, als wäre ich auf einer Kundgebung von Heimatvertriebenen
gelandet." Die PDS als Auffangbecken - wie Anfang der fünfziger
Jahre der BHE, der Block der Heimatvertriebenen und Entrechteten in Westdeutschland,
mit ähnlichen Wahlergebnissen. Die PDS, so v. Ditfurth, werde das Schicksal
der Heimatvertriebenenparteien teilen (sie verschwanden eines Tages wegen
Mangel an Wählern von der politischen Bühne), wenn die PDS so bleibe,
wie sie ist.
Ausführlich beschäftigt er sich mit der ständigen Relativierung
oder gar Leugnung der stalinistischen Vergangenheit von SED und DDR. Differenziert
verweist er nicht nur auf den stalinistischen Positivismus der Kommunistischen
Plattform in der PDS, die er für weniger gefährlich hält, sondern
vor allem auf die Verdrängungsmechanismen gerade auch unter Wissenschaftlern,
wie in Uwe-Jens Heuers "Marxistischem Forum". Gäbe man zu,
so v. Ditfurth, daß die DDR stalinistisch war, stellte man sie in die
Linie eines Verbrecherregimes, dann aber könnte man den Vorwurf nicht
mehr zurückweisen, daß die DDR ein Unrechtsstaat war. Und das würde
zumindest ein schlechtes Licht auf jene werfen, die in der DDR Partei- und
Staatsfunktionen innehatten oder aber auch akademische Titel erwarben. Den
Genossen gehe es um die Rettung des "sozialistischen Versuchs" in
der DDR, sie klammerten sich an eine Legende, weil sie die Wahrheit nicht
ertragen würden: "Die Machtfrage stand über allem - das hatte
auch der Genosse an der Basis begriffen. Nieder also mit dem Sozialdemokratismus!
Stalin hatte in den Köpfen der Genossen gesiegt. Stalin regierte ihre
Ideale. Der 'sozialistische Versuch' ist auch in dieser Hinsicht eine Schimäre."
Der Autor verweist darauf, daß das heute noch gültige PDS-Programm
von 1993 schon geprägt gewesen ist vom Lavieren der Führung zwischen
den innerparteilichen Lagern und den Eindruck erwecke, Stalinismus habe es
nur in der Sowjetunion gegeben. Das im Januar 1997 verabschiedete Parteistatut
kenne schließlich den Begriff "Stalinismus" nicht mehr, und
auch keinen "antistalinistischen Gründungskonsens". "Aber
noch und auf absehbare Zeit" habe die PDS eine Führung, die sich
mehrheitlich diesem Konsens des Gründungsparteitages verpflichtet fühle.
Doch habe sie inzwischen die Definitionshoheit für Schlüsselbegriffe
verloren; in dieser Hinsicht sei das PDS-Projekt bereits heute gescheitert.
Ich entsinne mich einer Äußerung Biskys über seine Besuche
örtlicher Parteiversammlungen, daß er es satt habe, sich jedesmal
dafür zu entschuldigen, daß die PDS keine kommunistische Partei
sei. Eine kommunistische Partei ist die PDS sicher nicht, wie v. Ditfurth
im Vergleich mit den alten kommunistischen Parteien nachweist. Ihr Problem
sind die noch vorhandenen alten Denkschablonen ihrer Mitglieder (vgl. DA 2/1996,
S. 257 ff.). Zu Recht erinnert v. Ditfurth an die persönlichen Schmähungen,
die die Rede des PDS-Bundestagsabgeordneten Dietmar Keller 1993 vor der Bonner
Enquetekommission über die SED-Diktatur in der PDS auslöste (vgl.
DA 1/94, S. 94 ff).
Über die PDS im Westen - Ende 1997 2527 Mitglieder (im Osten 96 000)
- zeichnet v. Ditfurth mit dem Erfahrungsschatz und den Kontakten seiner DKP-Aktivitäten
ein sicher zutreffendes Bild, Sie sei überwiegend ein Konglomerat aus
Sekten, aus Verlierern, die sich jahrelang "ewige Wahrheiten um die Ohren
gehauen" hätten. Der Versuch der PDS, die West-Linken zusammenzuführen,
habe viele kleine Sekten zu einer etwas größeren vereinigt. Die
Streitereien jedoch gingen weiter, so zwischen einstigen DKP-Mitgliedern und
rund 300 Ex-Maoisten vom Bund Westdeutscher Kommunisten, die als eigene Arbeitsgemeinschaft
auftreten, sowie ehemaligen Trotzkisten und Erz-Stalinisten der KPD/ML. Emeuerungsschübe
aus dem Westen seien ausgeblieben. Nicht nur die Lage, auch die Perspektiven
der PDS im Westen seien trübe. V. Ditfurths Resümee: "Betrachtet
man die Mitgliedschaft, dann ist die PDS im Osten nicht entstalinisiert und
im Westen eine Sekte."
Auch der Versuch, der PDS ein neues Programm und eine klare Strategie zu geben,
ist nach Ansicht v. Ditfurths gescheitert Auf dem Schweriner Parteitag 1997
habe man vor allem altbekannte Formeln gehört, die vielfältige Interpretationsmöglichkeiten
offenlassen: "den Klassenkampf genauso wie einen Gesellschaftsvertrag,
die Vergesellschaftung" (im PDS-Statut steht: "die die Ausbeutung
des Menschen abschafft", nach Marx die Abschaffung des Privateigentums
an Produktionsmitteln) "genauso wie die soziale Marktwirtschaft".
Es hapert an Glaubwürdigkeit, meint v. Ditfurth: "Das liegt allein
schon daran, daß nur eine verschwindende Minderheit, vor allem in Berlin,
über Programm und Strategie debattiert, höchstens ein paar hundert
Genossen. Dem Rest der Partei ist dieser Streit eher zuwider. In den meisten
stecken noch die Appelle der SED nach 'Einheit und Geschlossenheit'. ( ...
) Für sie ist allein wichtig, daß immer mal wieder vom Sozialismus
die Rede ist. "
Von v. Ditfurths Analyse hatte sich die PDS-Führung offenbar mehr versprochen.
Die Enttäuschung war in den ersten Reaktionen offensichtlich: "Zweifel
am Demokratiewillen. Mit einem Buch über die PDS setzte sich Christian
von Ditfurth zwischen alle Stühle", überschrieb das "Neue
Deutschland" (23. März 1998) den Bericht über eine Podiumsdiskussion
in der Volksbühne. Einige allzu saloppe Formulierungen in seinem Buch,
so seine Schlußsätze: "Die Reformer laufen über einen
Sumpf. So etwas ist noch nie gutgegangen", sind dabei bequeme, weil ablenkende
Angriffspunkte. So empfand PDS-Vorstandsmitglied Michael Schumann diese Formulierungen
als "höchst suspekt" und aus dem "stalinistischen Umfeld"
kommend.
André Brie, theoretischer Kopf der PDS-Reformer und Wahlkampfleiter,
widmete v. Ditfurths Buch im "Neuen Deutschland" (16./17. Mai 1998)
fast eine ganze Seite, betitelt "Symptome erkannt, Diagnose verfehlt".
Brie bekennt, daß das Buch sich gut und schnell lese, daß es geradezu
fesseln könne, daß er gar "viele der Symptome für Hemmnisse
und Schwierigkeiten in der Entwicklung der PDS, die er [v. Ditfurth] erkannt
hat, nicht anders sehe". Doch widerspreche er ihm, wenn dieser die "meisten
PDS-Genossen" für "unbelehrbar" halte. Brie sieht die
Möglichkeiten erheblich beeinträchtigt, "dieses Buch für
den notwendigen Disput in der PDS heranzuziehen".
Er selbst ist offenbar auch dem Delegitimierungssyndrom erlegen, das anscheinend
eine Kinkel-Äußerung in der PDS hervorgerufen hat, denn er reagiert
äußerst empfindlich auf eine Anmerkung von v. Ditfurth zu seiner
These, nach der "die konsequente und praktische Kritik des stalinistischen
und poststalinistischen Sozialismus nicht die historische Legitimität
der Oktoberrevolution oder des Versuchs, ein anderes, ein antifaschistisches
Deutschland zu errichten, in Frage (stelle)". Das sei, so v. Ditfurth,
der "ideologische Kitt", der die widerstreitenden PDS-Flügel
zusammenhalte. Wegen dieses "fundamentalen Glaubenskonstrukts" werde
die PDS kaum eine gesamtdeutsche sozialistische Partei werden. In seiner ND-Replik
wirft Brie ihm vor, er nehme nicht Stellung "zu der entscheidenden Frage,
ob die Legitimität eines historischen Aufbruchsversuchs generell und
post festum bestritten werden muß, wenn der Versuch gescheitert ist".
Muß er auch nicht. Geschichtliche Aufbrüche haben ihre Ursachen,
sie geschehen wie die Russische Oktoberrevolution oder der Faschismus oder
eben der Versuch, "ein anderes, antifaschistisches Deutschland"
zu errichten. Legitimierungen sind, historisch gesehen, nachträgliche
Rechtfertigungen, oder gar Berufung auf höhere Weihen der jeweiligen
Machthaber: Mit der Legitimation "von Gottes Gnaden" rechtfertigten
Kaiser, Könige und Zaren ihre absoluten Herrschaftsansprüche, Hitler
berief sich auf die "Vorsehung", und die SED rechtfertigte ihre
"Diktatur des Proletariats", ihre "führende Rolle"
als Partei der Arbeiterklasse damit, "von der Geschichte berufen"
worden zu sein.
Der Versuch, ein anderes, ein antifaschistisches Deutschland zu errichten,
war nach all dem, was von Deutschen in Europa angerichtet worden war, zwingend
notwendig, das ist unbestreitbar. Doch was im sowjetischen Besatzungsgebiet
von deutschen Kommunisten und der Besatzungsmacht als DDR geschaffen wurde,
war antifaschistisch/sozialistisch auf stalinistische Art, war antidemokratisch,
antisozialdemokratisch und auch noch antizionistisch mit antisemitischen Tendenzen
(vgl. auch DA 4/1994 S. 408 ff.) - ein beklemmender Antifaschismus. V. Ditfurth
benennt "auffällige Gemeinsamkeiten zwischen beiden deutschen Diktaturen:
Einparteienherrschaft, Überwachungsstaat, Unterdrückung Andersdenkender
und Verweigerung demokratischer Grundrechte, ideologische Durchdringung der
gesamten Gesellschaft, Militarisierung des Alltagslebens. ( ... ) Ein entscheidendes
Kennzeichen war die Abwesenheit von Demokratie."
Die Realitäten verschleiernd (v. Ditfurth: "wenig glücklich")
scheint auch nur Bries Unterscheidung zwischen "stalinistischem"
und "poststalinistischem Sozialismus" zu sein: letzteren hat es
in Europa gar nicht gegeben. V. Ditfurth: "Das Ausschlaggebende am Stalinismus
ist nicht Stalin, sondern das System, das er schuf. ( . ) Sein Tod hat am
System nichts geändert (wohl aber die Exzesse beendet)."
Sicher kann man über v. Ditfurths Ansichten, historischen Rückblicke
und Schlußfolgerungen diskutieren - erfreulich ist, daß er keine
"ewigen Wahrheiten" verkündet, daß er auch zweifelt -,
aber dazu muß man ihn erst gelesen haben, was nicht nur allen PDS-Mitgliedern
empfohlen sei.
Willi Schulz, Deutschland Archiv, Nr. 5/1998
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Ditfurths
"Reise durch die PDS" basiert auf intensiven Recherchen, die der
Autor seit 1989 durchgeführt hat. Er besuchte eine Vielzahl von Parteiveranstaltungen
und führte zahlreiche Gespräche mit Funktionären der PDS bis
zum Schweriner Parteitag im Januar 1997. Ditfurth setzt sich zunächst
intensiv mit der Ideologie der PDS, insbesondere ihren extremen Strömungen,
der kommunistischen Plattform und dem marxistischen Forum auseinander. Der
Autor führt die PDS als eine in Ost und West gespaltene Partei vor. Die
tiefe Kluft manifestiere sich insbesondere in der Frage des Umgangs mit der
DDR-Vergangenheit. Die Aufarbeitung der Geschichte ist laut Ditfurth gescheitert.
Weiteres Thema seiner Gespräche waren die Perspektiven einer politischen
Zusammenarbeit mit der SPD in den ostdeutschen Bundesländern. Die kommunalpolitische
Ebene bleibt dabei allerdings weitgehend außen vor, auch wenn hier zahlreiche
parteiübergreifende Kooperationen auch mit der CDU zu beobachten sind.
Das Fazit Ditfurths fällt vernichtend aus: "Betrachtet man die Mitgliedschaft,
dann ist die PDS im Osten nicht entstalinisiert und im Westen eine Sekte.
Auf diesem Fundament stehen die Genossen Bisky, Gysi und Brie und fuhren dem
staunenden Publikum den demokratischen Sozialismus vor." (272) In das
Buch eingestreute Dokumente von Rosa Luxemburg über das Versprechen der
Thälmann-Pioniere von 1971 bis hin zu Szenen aus dem Deutschen Bundestag
verdeutlichen die Aussagen Ditfurths.
Zeitschrift für Politikwissenschaft, Nr. 2/1998
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Die PDS - Partei
der "ostalgischen" Heimatvertriebenen?
Christian von Ditfurths Reise durch die "Partei des Demokratischen Sozialismus":
Zwischen linker Alternative und altem Stalinismus
Die PDS ist mit
100 000 Mitgliedern die größte Partei in Ostdeutschland. Im Westen
ist offenbar über die Realität dieser Partei wenig bekannt - und
man wundert sich über ihren Erfolg bei den Bundestags-wahlen. Während
die Konservativen sich bisher abweisend und mitunter diffamierend verhalten,
ist bei manchen Linken eine zuweilen leichtfertige Bereitschaft anzutreffen,
der Partei ihre Herkunft aus der SED zu verzeihen und sie als Neugründung
zu akzeptieren. Deshalb lohnt es, sich mit dem Historiker Christian Ditfurth
auf eine "Reise durch die PDS" zu begeben.
Besonders interessiert hat den Autor, wie die Partei mit der eigenen Vergangenheit
umgeht und wie sich ihr Verhältnis zur parlamentarischen Demokratie entwickelt
hat. Hatte es unter dem Schock des Zusammenbruchs 1989 einen antistalinistischen
Konsens gegeben, so gerät dieser mehr und mehr unter innerparteilichen
Druck. In den Medien besonders präsent ist die Gruppierung "Kommunistische
Plattform" (KPF). Im Unterschied zum "Marxistischen Forum"
(ebenfalls ein parteiinterner Zusammenschluß) geht es der KPF nicht
darum, die DDR vor dem Vorwurf, sie sei stalinistisch gewesen, zu schützen,
sie hat am Stalinismus vielmehr gar nichts auszusetzen. In diesen Kreisen
heißt die Berliner Mauer immer noch "antifaschistischer Schutzwall".
Da die KPF im Verhältnis zur Gesamtpartei nur wenige Mitglieder hat,
bräuchte man sie nicht weiter zu beachten, wenn sie nicht, so Ditfurth,
in vielem das träfe, was auch viele andere Parteimitglieder denken.
Der Parteivorstand dagegen, den Ditfurth den reformorientierten Kräften
zuordnet, ist noch am ehesten zu grundsätzlicher Kritik am DDR-Sozialismus
bereit. Er bekennt sich zu - in der DDR verfemten - revisionistischen Positionen,
d.h. der stetigen Weiterentwicklung der Institutionen der bürgerlichen
Demokratie mit dem Ziel einer umfassenden Demokratisierung des wirtschaftlichen
und politischen Lebens. Doch der Abstand der Führung zur Basis, die in
der PDS nicht zuletzt ein Stück Heimat sieht, ist groß. Indem viele
altgediente GenossInnen die Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte
verweigern, versuchen sie, ihre Biographie, ihren Lebenssinn zu retten. "Ich
kann doch nicht umsonst gelebt haben", hat Ditfurth immer wieder zu hören
bekommen.
Sein Buch ist nicht nur eine Bestandsaufnahme der Befindlichkeiten und Strömungen
in der PDS, es handelt sich vielmehr um eine kritische Auseinandersetzung
mit den in der Partei gängigen Argumenten und Denkmustern. Dabei schießt
er, selbst ehemaliges DKP-Mitged, also " Konvertit", manchmal etwas
über das Ziel hinaus. So ist es einer differenzierten Diskussion kaum
zuträglich, wenn er als Antwort auf die Stalinismus-Leugner nun die gesamte
Geschichte der DDR ohne Unterschied unter das Stalinismus-Verdikt stellt.
Gern hätte man auch etwas genauer gewußt, welche Positionen die
PDS zu aktuellen Fragen bezieht oder welche konkrete Politik sie auf lokaler
Ebene macht (wo ja auch die CDU mit ihr zusammenarbeitet). Ditfurths Urteil
fällt nicht optimistisch aus: Wenn die PDS es nicht schafft, in der Bundesrepublik
anzukommen, wenn Demokratie nicht auch an der Basis zu einem anerkannten Grundwert
wird, wird sie den Platz links von SPD und Bündnis-Grünen nicht
ausfüllen können. Ihre Rolle als Ostalgie- und Protestpartei kann
sie zwar noch eine Weile spielen, wenn auch stets durch Überalterung
bedroht (67% der Mitglieder sind älter als 60 Jahre). Um ein spezifisch
"linkes" Politikkonzept handelt es sich dabei aber nicht.
Katharina Schuler, Badische Zeitung, 29. 10. 1998
Rezensionen und Berichte: [taz][Die Welt][Tagesspiegel][Neues Deutschland: Bericht
/ Rezension][Süddeutsche
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Für Sie
gelesen
Die "Partei
des demokratischen Sozialismus" (PDS) überwand bei der letzten Bundestagswahl
erstmals die Fünf-Prozent-Hürde und ist nunmehr als Fraktion mit
36 Sitzen erneut im Parlament vertreten. In Mecklenburg-Vorpommern hat sie
soeben eine Koalition mit der SPD vereinbart und wird zum ersten Mal an einer
Landesregierung beteiligt. In Sachsen-Anhalt regierte schon seit längerem
ein rot-grünes Bündnis mit Tolerierung durch die PDS. Die Nachfolgepartei
der SED ist nicht nur in den neuen Bundesländern ein wichtiger politischer
Faktor, sondern kann aufgrund ihrer starken Bastionen im Osten auch auf Bundesebene
eine gewisse Rolle spielen. - Wird es so bleiben? Wird die PDS ihren Einfluß
sogar noch vergrößern können? Könnte es ihr gelingen,
auch in den alten Bundesländern Fuß zu fassen?
Christian von Ditfurth geht nicht ganz unbefangen an diese Fragen heran. Wie
seine Schwester Jutta versteht sich der Sohn des Wissenschaftspublizisten
Hoimar von Ditfurth als Linker. Im Unterschied zu seiner Schwester, die in
den achtziger Jahren eine der bekanntesten Politikerinnen der Grünen
war, trat er jedoch 1973 der DKP bei, die als westdeutsche "Bruderpartei"
von der SED finanziert und dirigiert wurde. In den zehn Jahren seiner Zugehörigkeit
war er nicht nur einfaches Mitglied, sondern zählte zum "Kader",
wie man im Parteijargon die niederen bis hohen Weihen der Funktionärs-Priesterschaft
nannte. Zum Beispiel absolvierte er einen einjährigen Lehrgang an der
DKP-Parteischule in Ostberlin, als er wegen seiner politischen Aktivitäten
für eineinhalb Jahre von der Universität Heidelberg relegiert wurde.
Noch höhere Weihen hatte die Partei nur durch eine Ausbildung in Moskau
zu vergeben. Aber dazu kam es nicht mehr: Wie so mancher andere versprengte
Linke aus der Achtundsechziger-Bewegung erkannte auch Christian von Ditfurth
eines Tages, "daß linke Politik und SED-Hörigkeit sich ausschlossen".
Trotz der engen politisch-ideologischen Verflechtung zwischen den beiden kommunistischen
Parteien war es ein riesiger Unterschied, ob man im Westen der DKP oder im
Osten der SED beitrat: Im Westen verdankte die DKP ihre zeitweilige Attraktivität,
der sogar ein heute eher konservativer Geist wie Martin Walser erlag, dem
Zerfall der antiautoritären Studentenbewegung. Die meisten dieser enttäuschten
Idealisten, die ihr Heil in einer neuen Orthodoxie suchten, hatten davon nur
empfindliche Nachteile, bis hin zum "Berufsverbot" im öffentlichen
Dienst. Ganz anders im Osten: Hier war der Bonbon im Knopfloch, wie man das
Parteiabzeichen der SED nannte, die Vorbedingung des beruflichen Aufstiegs
und der Zugehörigkeit zur politischen Elite. Die SED war die bevorzugte
Partei von Karrieristen und Anpassern. Einem westdeutschen Genossen wie Ditfurth,
der sich seine Denkfähigkeit bewahrt hatte, mußte in dieser Umgebung
schnell klar werden, daß er mit seiner Achtundsechziger-Mentalität
vom Regen in die Traufe geraten war und daß er im real existierenden
Sozialismus für jede Art von Ketzerei noch weit gnadenloser verfolgt
würde als dies zu Hause durch die vergleichsweise harmlose Inquisition
des Radikalenerlasses geschah.
Nun legt die PDS ja großen Wert darauf, nicht die geradlinige Fortsetzung
der SED zu sein, sondern eine geläuterte, von den stalinistischen Eierschalen
befreite Nachfolgepartei. Sie bekennt sich sogar zum "demokratischen
Sozialismus", was für die SED ein ideologischer Kampfbegriff des
Klassenfeinds war, um den "real existierenden Sozialismus" zu diffamieren.
Aber wie weit geht diese Wandlung wirklich? Wieweit sind solche Galionsfiguren
wie Gregor Gysi, Lothar Bisky oder Andre Brie typisch für die Masse der
Mitglieder? Wie sicher sind die Vorstandsstühle, auf denen sie sitzen?
Welche Rolle spielt die "Kommunistische Plattform" mit Sahra Wagenknecht
und den anderen Unbelehrbaren? Wie groß ist das intellektuelle Potential
der Partei, um ihren Fortbestand im Osten zu sichern und sich neue Wählerkreise
im Westen zu erschließen?
Ditfurths Blick auf die PDS ist zur Beantwortung solcher Fragen besonders
aufschlußreich, da er aus eigener Anschauung vergleichen kann: Zum einen
kennt er die Ideologie und Praxis der stalinistischen Vorläuferpartei
aus der intimen Sicht des Renegaten. Zum anderen hat er sich die Mühe
gemacht, der heutigen PDS politisch-ideologisch auf den Zahn zu fühlen,
indem er zahlreiche interne Veranstaltungen der Partei besuchte, Gespräche
mit Funktionären führte und sonstige Quellen erschloß. So
entstand bei aller subjektiven Involviertheit doch ein recht überzeugendes
Bild vom gegenwärtigen Zustand und den Perspektiven dieser eigenartigen
Partei, die mit ihrer ausgeprägten regionalen Verwurzelung an die CSU
erinnert, von der Programmatik her aber eher mit Grünen und SPD konkurriert.
PDS als "sozialtherapeutische
Selbsthilfegruppe"
Ditfurth bescheinigt
der PDS, daß sie in ihrer Gesamtheit weder zurück zur alten DDR
möchte noch die alten stalinistischen Methoden des politischen Spiels
betreibt. Im Gegensatz zur SED sei die PDS im Osten Deutschlands durch freie
Wahlen demokratisch legitimiert und habe sogar den Charakter einer Volkspartei.
Ihren führenden Vertretern wie Gysi und Bisky könne das Bekenntnis
zum "demokratischen Sozialismus" durchaus abgenommen werden. Freilich
dürfe man sich durch die clevere Führungsmannschaft, die geschickte
Öffentlichkeitsarbeit oder die klugen, witzigen Wahlkämpfe nicht
über die graue Realität an der Basis der Partei hinwegtäuschen
lassen, wo die "Traditionalisten" noch immer den geistigen Strukturen
von gestern verhaftet seien. Gewiß wollten auch diese Traditionalisten
kaum zurück zu Verhältnissen, wie sie unter Honecker oder Ulbricht
herrschten. Aber sie seien einfach unfähig zur geistig-emotionalen Aufarbeitung
dessen, was ihnen erst durch das repressive System der DDR und dann durch
den freien Fall in die westliche Gesellschaft zugefügt wurde. Man merke
dies beispielsweise an der Häme, die dem ehemaligen Politbüromitglied
Günter Schabowski entgegenschlug, als dieser tatsächlich schonungslos
mit sich und seiner Partei ins Gericht ging.
Nach Ditfurths Beobachtungen ist die PDS für viele Genossen "eine
Art therapeutische Selbsthilfegruppe. in der die Verlierer von 1989 sich gegenseitig
darin bestärken, nur das Beste gewollt zu haben". Sie erinnert ihn
insofern an die Heimatvertriebenenparteien, die in den Anfangsjahren der Bundesrepublik
eine gewisse Bedeutung als Mehrheitsbeschaffer hatten, bevor sie sich in anderen
Parteien auflösten. Und sie werde deren Schicksal teilen, wenn sie so
bleibe, wie sie ist, prophezeit er.
Allerdings gebe es auch sehr handfeste, materielle Interessen, die der PDS
vorläufig eine treue Wählerschaft sicherten. Ditfurth nennt hier
vor allem die Rentenkürzung, die ursprünglich etwa 100 000 frühere
Funktionsträger des Regimes betraf, seit Anfang 1997 aber nur noch für
hauptamtliche Stasi-Mitarbeiter gilt. Dieses "Rentenstrafrecht",
wie es die PDS-Anhänger bezeichnen, sei in der Tat ein Skandal und werde
selbst in seiner Beschränkung auf Stasi-Angehörige vor dem Bundesverfassungsgericht
keinen Bestand haben können. Außerdem seien diese Rentenkürzungen
völlig unverhältnismäßig, wenn man an die ungeschmälerten
Renten denke, die sogar Schergen des Nazi-Regimes gewährt wurden.
Die PDS profitiere so zum guten Teil von der Arroganz und Blindheit westlicher
Politiker, die nicht fähig oder bereit seien, die andersgeartete Entwicklung
in der ehemaligen DDR zu begreifen und die daraus resultierenden Biographien
zu respektieren. Typisch seien die undifferenzierte Stasi-Debatte oder der
Versuch, in der PDS nichts weiter als die Fortsetzung der SED zu sehen. Die
großen Vereinfacher hätten es auf diese Weise sogar geschafft,
ehemalige Stasi-Leute ins Recht zu setzen, in der Bevölkerung den Eindruck
von Sieger-Willkür zu erwecken und der PDS zu einer Legitimation zu verhelfen,
von der die frühere SED nur träumen konnte.
Parteiführung
strebt Regierungsbeteiligung an
Dennoch werde
dies alles kaum ausreichen, um der PDS eine dauerhafte Existenz zu sichern.
Die Partei vergreise. Um junge Wähler zu gewinnen, müsse sie mehr
als "Ostalgie" oder ein paar Punk-Frisuren auf ihren Wahlplakaten
bieten. Die erhofften Erneuerungsschübe aus dem Westen seien ausgeblieben.
Statt dessen schlage sich die Parteiführung in den alten Bundesländern
mit einem "dubiosen Konglomerat von Sekten" herum, die mindestens
ebenso verbiestert seien wie die Alt- und Jungstalinisten von der Kommunistischen
Plattform.
Die Mannschaft um Gysi sei letzten Endes nicht typisch für die Masse
der Mitglieder und Anhänger. Sie benötige die Zusammenarbeit mit
der SPD und die Beteiligung an Regierungen, um sich gegen die Altlasten und
Widerstände in den eigenen Reihen weiterhin behaupten und die Partei
in das politische System der Bundesrepublik integrieren zu können.
Die jetzige Koalition mit der SPD in Mecklenburg-Vorpommern darf demnach auch
als Erfolg der Parteiführung gewertet werden, denn die "Traditionalisten"
und "Ostalgiker", wie Ditfurth sie nennt, wollten lieber in der
Opposition bleiben und schienen zwischendurch sogar Oberwasser zu bekommen.
Die Schweriner Koalition markiert jedenfalls einen wichtigen Wendepunkt: Der
Versuch, die PDS als Schmuddelkind in die parlamentarische Ecke zu stellen,
kann als gescheitert gelten. Die feine Art war es sowieso nicht, wie etwa
die Unionsabgeordneten bei der Eröffnung des vorherigen Bundestags dem
Alterspräsidenten Stefan Heym ihre Mißachtung demonstrierten, nur
weil Heym auf der Liste der PDS kandidiert hatte. Und klug war es auch nicht,
weil gerade Heym die bessere Seite der ehemaligen DDR repräsentierte
und eine durchaus beachtliche Rede hielt.
Sobald aber die PDS politische Mitverantwortung trägt, kann sie sich
billigen Populismus, mit dem sie bisher in der Opposition oft auf Stimmenfang
geht, nicht mehr leisten. Sie wird mehr als bisher klarstellen müssen,
wie sie wirtschaftliche oder soziale Fragen lösen will oder wie sie es
mit essentiellen liberalen Grundsätzen wie der Gewaltenteilung hält.
Letztendlich würde sie damit zu einer sozialdemokratischen Partei. Als
"linkes Gewissen" der SPD könnte sie vielleicht sogar im Westen
Fuß fassen und auch bei den Grünen erben, die bereits deutliche
Symptome einer Identitätskrise zeigen, während sie politisch auf
dem Höhepunkt ihrer Macht angelangt sind.
Vielleicht teilt die PDS aber auch das Schicksal der ehemaligen Heimatvertriebenenparteien,
mit denen Ditfurth sie so treffend vergleicht. Schon jetzt wird das Wegsterben
der Älteren nicht durch Neuzugänge bei den Jüngeren wettgemacht.
Im Westen ist noch kein Licht am Ende des Tunnels zu sehen. Und die anderen
Parteien bleiben sicher nicht untätig. Nachdem die CDU ihre Rote-Socken-Kampagne
abgeblasen hat und eher versöhnliche Töne gegenüber ehemaligen
SED-Mitgliedern anschlägt, könnte es sogar sein, daß der PDS
auch von dieser Seite die Klientel abspenstig gemacht wird.
Presseblick, Schwerpunkte der energiewirtschaftlichen und energiepolitischen
Berichterstattung, Jahresband 1998
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Keine Partei
- ein Lebensgefühl
Christian von Ditfurth fällt ein harsches Urteil über die PDS
Ob in Rostock
oder Dresden, Görlitz oder Gotha, der weißhaarige, ältere
Herr mit Brille ist auf jeder PDS-Veranstaltung dabei. Geduldig hört
er den Parteikritikern zu, notiert das eine oder andere - um dann am Ende
zu einem großen Rundumschlag über die Missetaten des Imperialismus
auszuholen. Damit ist in seinen Augen dann auch die staatssozialistische Diktatur
in der DDR gerechtfertigt. Und - was für ihn und viele andere ehemalige
Diener des real existierenden Sozialismus heute viel wichtiger ist - sein
Leben hat einen Sinn gehabt. Auf subtile Art ist Christian von Ditfurth in
seinem brillant geschriebenen Buch dem Wesen der SED-Nachfolgepartei und ihrer
Anhänger auf den Grund gegangen. Seit 1990 hat er an Sitzungen von Parteigremien
teilgenommen, mit Mitgliedern und Funktionären gesprochen und unzählige
Quellen ausgewertet. Sein Fazit: Die PDS ist eigentlich gar keine Partei,
sie ist eher ein Lebensgefühl. In ihr sammeln sich die "Heimatvertriebenen"
der DDR, diejenigen, deren Biographie durch die Wende Schiffbruch erlitten
hat und die sich jetzt in der Wärmstube der SED-Nachfolgepartei ihre
Streicheleinheiten abholen. Und die medienwirksamen Genossen Lothar Bisky,
André Brie und Gregor Gysi sind nur ein reformerisches Feigenblatt,
das sich die ostdeutsche Regionalpartei leistet. Ein harsches Urteil des Historikers,
der immerhin über zehn Jahre lang Mitglied der DKP, der westdeutschen
Schwester-Partei der SED, war. Doch gerade diese Nähe zum Untersuchungsgegenstand
schärft seinen Blick für die Defizite der Partei. Für von Ditfurth
ist es klar, daß die PDS erst vollständig mit der SED-Diktatur
brechen muß, bevor sie eine wirkliche politische Alternative darstellen
kann. Doch dazu ist sie weder bereit noch in der Lage, da das Selbstverständnis
vieler Mitglieder auf einer ostalgischen Schwärmerei für den untergegangen
Ost-Staat beruht. Die jüngsten Ereignisse wie die PDS-Forderung nach
einer Amnestie für DDR-Funktionäre oder der Honorarvertrag der PDS-Bundestagsfraktion
für den ehemaligen Topspion Rainer Rupp bestätigen von Ditfurths
Analyse nur.
Nordseezeitung, 26. Februar 1999
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Warnung vor
dem "Druck von links"
Kanzler-Äußerung zur PDS irritiert Ost-SPD-Abgeordnete
Im Kreis der
65 SPD-Bundestagsabgeordneten aus den neuen Ländern gibt es Verwirrung
und Verdruß über die jüngste Äußerung von Kanzler
Gerhard Schröder zur PDS. Schröder sagte, "daß man im
Bundesrat nicht mit Parteien zusammenarbeitet, sondern mit Ländern".
Damit spielte der Regierungschef die Bedeutung von SPD/ PDS-Koalitionen für
das Abstimmungsverhalten in der Länderkammer auf eine Weise herunter,
die viele Sozialdemokraten nicht mehr nachvollziehen können.
Das Schröder-Zitat wird als Freibrief für die thüringischen
Sozialdemokraten verstanden, gegebenenfalls nach der Landtagswahl vom 12.
September mit der SED-Nachfolgepartei eine Koalition einzugehen. In diesem
Sinn hatte sich vor einer Woche bereits SPD-Chef Oskar Lafontaine geäußert.
Käme es so, hätte Rot-Grün im Bundesrat die Scharte der Hessen-Wahl
ausgewetzt und würde 37 von 69 Stimmen in der Länderkammer mobilisieren
können - immer vorausgesetzt allerdings, PDS-Landesminister würden
dieses Spiel mitspielen.
Viele aus der Ost-SPD befürchten dagegen Erpressungsmanöver durch
die PDS. Theoretisch kann bereits jetzt die PDS in Mecklenburg-Vorpommern
- aufgrund der ersten rot-roten Koalition - im Bundesrat eine Stimmenthaltung
erzwingen. Von dieser Möglichkeit, absolute Mehrheiten im Bundesrat zu
vereiteln und damit wichtige Gesetze zumindest auf die lange Bank zu schieben,
hat die PDS in Schwerin allerdings bislang nicht Gebrauch gemacht. Die Neigung,
"Druck von links" auf die SPD auszuüben, würde aber vermutlich
wachsen, wenn es eine zweite SPD/PDS-Koalition gäbe.
Nach Ansicht des Bonner SPD-Fraktionsgeschäftsführers Uwe Küster
(Magdeburg) haben viele westdeutsche Sozialdemokraten ein "Wahrnehmungsdefizit"
gegenüber der PDS. Sie beschmunzeln Gregor Gysis flotte Sprüche.
Sie stoßen sich kaum an der Biederkeit des Parteichefs Bisky. Aufgrund
solcher Eindrücke glauben sie, die PDS genügend zu kennen.
Wie rückwärtsgewandt die PDS tatsächlich ist, argumentiert
Küster, erschließt sich aber erst durch ständiges Beobachten
ihrer Basis. "Würden Lafontaine und Schröder in einer PDS-Mitgliederversammlung
einmal Mäuschen spielen, würde ihnen ein Licht aufgehen, wie sehr
immer noch DDR-Altkader die Richtung bestimmen", heißt es vorwurfsvoll
im - antikommunistischen - SPD-Arbeitskreis "Neue Mitte".
Vielleicht würde ja auch schon die Lektüre des Buches von Christian
Ditfurth "Ostalgie oder linke Alternative" weiterhelfen. Ditfurth
hat Hunderte PDS-Versammlungen besucht und zieht das Fazit: Wenn es um das
PDS-Selbstverständnis geht, dann erhebt sich im Saal ein Dogmatiker -
vom Typ "weißhaariger Herr mit Brille" - und verklärt
die DDR nach dem Motto: "Ich kann doch nicht umsonst gelebt haben."
Ditfurth diagnostiziert eine "kollektive Schuldabwehr", wie sie
auch aus Stammtisch-Diskussionen über die NS-Zeit bekannt sei: Von besonders
fragwürdigen SED-Handlungen habe man "nichts gewußt",
es sei "nicht alles schlecht gewesen", die "anderen" hätten
auch schwere Versäumnisse aufzuweisen, früher habe es weniger Verbrechen
gegeben und schließlich müsse "endlich einmal Schluß
sein" mit der Debatte über die Vergangenheit.
Jede Aufwertung der PDS, sagen Anhänger der "Neuen Mitte",
schadet der SPD sowohl im Osten als auch im Westen. Massiv gefährdet
seien dann auch die SPD-Direktmandate in den neuen Ländern. Immerhin
haben 60 der 65 SPD-Bundestagsabgeordneten aus dem Osten ein Direktmandat
errungen - häufig nur wegen ihrer Distanzierung von der PDS.
Kölner Stadtanzeiger, 9. März 1999
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Auf dünnem
Eis
Christian von Ditfurth und Christoph Dieckmann ergründen die Ost-Identität
Die künftige
Berliner Republik unterscheidet sich von ihrer Bonner Vorgängerin auch darin,
daß in den Neuen Bundesländern die Parteienlandschaft anders aussieht: FDP
und Bündnis 90/Die Grünen spielen nahezu keine Rolle, dagegen konnte die PDS
bei den Bundestagswahlen '98 ihre starke Position sogar noch ausbauen. Ist
die PDS eine Partei, die der DDR-Vergangenheit hinterhertrauert? Oder könnte
sie künftig die Rolle einer "linken Alternative" spielen? Um solche Fragen
zu beantworten, hat von Ditfurth ausgedehnte Reisen durch den Osten Deutschlands
unternommen, hat Mitgliederversammlungen und Ortsvereine der PDS besucht und
so ein differenziertes Bild des Milieus erhalten. Ihren besonderen Reiz erhalten
die Recherchen dadurch, daß der Autor von 1973 bis '83 selbst der westdeutschen
DKP angehörte, die damals bekanntlich von Ostberlin finanziert wurde. Da er
später mit seiner politischen Heimat brach, bringt er ein gutes Gespür dafür
mit, wie wohl die SED-Nachfolgerin PDS mit ihrer Vergangenheit zurechtkomme.
Von Ditfurth fällt jedoch erfreulicherweise nicht mit der Furie eines Abtrünnigen
über die PDS her. Seinen Beobachtungen nach zeichnet sich die SED-Nachfolgepartei
durch eine ausgeprägte Kluft zwischen den Reformsozialisten an der Spitze
der Partei und der großen Mehrheit der meist älteren Mitglieder aus. Diesen
geht es nicht um Zukunftsstrategien, sondern um eine Rettung ihrer Vergangenheit.
Von Ditfurth schließt daraus, die PDS sei eigentlich als ein Traditionsverband
von "Heimatvertriebenen" zu verstehen. In erster Linie seien diese darum besorgt,
daß das eigene Leben im Rückblick nicht vergebens gewesen sei. Im Unterschied
zum Westautor von Ditfurth haben die älteren PDS-Mitglieder nicht nur ihre
politische Heimat zu verlieren, sondern all die Traditionen, in denen sie
von klein auf groß geworden sind. Während es in der Generation des 1953 geborenen
von Ditfurth beinahe zum guten Ton gehört, das Recht des politischen Irrtums
in Anspruch zu nehmen, ist dies in der Tradition, in der die PDS steht, völlig
unbekannt: man hat - wie ein "Parteisoldat" - auf der richtigen Seite zu stehen,
auch wenn das - wie es dann passenderweise heißt - "Bauchschmerzen" bereitet;
Kritik am eigenen Lager würde nur dem politischen Gegner in die Hände spielen.
Es sind diese ideologischen Versatzstücke des Kalten Krieges, ja des Stalinismus,
die von Ditfurth sehr differenziert herausarbeitet. Man spürt förmlich, wie
leid es dem Autor tut, die Partei, der er einen erheblichen Vertrauensvorschuß
entgegenbringt, letztlich doch hart kritisieren zu müssen: Die Reformspitze
der PDS um Bisky und Gysi habe die Partei nicht im Griff; aus diesem Grunde
sei es allerdings auch absurd, die PDS als "kommunistische Kaderpartei" zu
kritisieren. Die Partei zerfalle aufgrund ihres Pluralismus in verschiedene
Strömungen und Flügel; die reformorientierte Parteispitze würde vielfach an
der Basis außerhalb Berlins, weit draußen in Thüringen oder Mecklenburg, nicht
ernst genommen. Der Autor hält das Projekt PDS jetzt schon für gescheitert.
Zwar sieht er in den Konzepten der PDS-Modernisierer um Gysi und Bisky Chancen
für eine Renaissance der Linken in Deutschland. Doch leider glaubten die Reformer,
so von Ditfurth, "sie könnten die Mitglieder einer ostdeutschen Volkspartei
mit unbewältigter SED-Vergangenheit nutzen, um moderne sozialistische Politik
zu machen". In Wahrheit verhalte es sich genau umgekehrt: Die Partei benutze
ihre Aushängeschilder. (...)
Conrad Lay, Frankfurter Rundschau, 20. Mai 1999
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Dieses Buch
ist unbequem. Aber eigentlich ist es besser, mit dem anzufangen, was dieses
Buch nicht ist: Es ist nicht anschmiegsam; es ist nicht schnell zu lesen;
es ist nicht leicht zu verdauen, es läßt sich nicht verbiegen. Es hat tausend
Ecken und Kanten, es fordert viel vom Leser. Aber vor allem ist es ein Buch
über die PDS - und in diesem Maße auch über die SED, die DDR (und was davon
blieb) sowie die Bundesrepublik.
Es ist gründlich recherchiert, gut lesbar geschrieben und verlangt, daß man
über die Thesen nachdenkt. Deswegen hat es mir gut gefallen, auch wenn es
ganz sicher keine locker konsumierbare Kost ist. Nichts, um es mit in die
Badewanne zu nehmen nach einem anstrengenden Tag - aber etwas, das unbedingt
gelesen gehört, wenn man sich mit der DDR, ihrer Geschichte und den Folgen
beschäftigt.
Christian von Ditfurth ist mit diesem Buch angeeckt, das verwundert nach der
Lektüre kaum. Alle politischen Farben bekommen ihr Fett weg, und das heißt,
daß hier nicht die PDS demontiert wird, sondern es wird vielmehr der Umgang
der SPD, CDU, der Grünen und aller Intellektuellen mit diesem Phänomen durchleuchtet.
Was vermutlich die Kritiker besonders erbost, ist die schlüssige Argumentation.
Die alten Kader aus den Reihen der SED dürfte z.B. auf die Palme bringen,
wie der Autor Anwandlungen in Richtung Ostalgie niederschmettert.
Wer bisher unter "PDS" vor allem Gysi, Wagenknecht oder Bisky verstanden hat,
wird gründlich aufgeklärt. Die Basis der Partei wird analysiert, ihr Verhältnis
zu Programm und personellen "Aushängeschildern", zu "Kommunistischer Plattform"
(kurz KPF, dem "Hardliner"-Zusammenschluß), Ideologie, Stalinismus und eben
zur realsozialistischen Vergangenheit. Besonders interessant: Auch, wie PDS
(West) zu PDS (Ost) steht, kommt nicht zu kurz.
Worauf gründet sich der Erfolg der PDS, wird sie am Ende gar aussterben, weil
die biologische Lösung durch Überalterung der Mitglieder eintritt?
Christian von Ditfurth war von 1989 bis 1997 unterwegs für sein Buch, auf
Basis-, Gemeinde-, Stadt- und Landesebene der Partei, auf Versammlungen, bei
Gesprächen war er dabei. Er hat Archivmaterial gesichtet und mit Zeitzeugen
gesprochen. Wie heißt es im Klappentext so schön? "Eine abenteuerliche Reise
durch Politik, Geschichte und Ideologie" der PDS. Es ist ein Buch über die
PDS, aber es eröffnet viele der Gedanken und Argumente, die eine Rolle bei
der Auseinandersetzung mit der Geschichte der DDR und dem jetzigen Neufünfland
spielen.
Wie auch immer man im einzelnen zu den Argumenten stehen mag, man kann sich
an dem Buch reiben, scheuern und schubbern. Wer allerdings in der Schule beim
Thema Marxismus/Leninismus gerade krank war, wird sich an mancher Stelle überfordert
fühlen.
Meike Wulf, DDR im WWW, http://www.ddr-im-www.de/Aktuelles/Aktuelles.htm.
Beachten Sie auch Meike Wulfs Seite über Erich Honecker: http://home.t-online.de/home/O.Wulf/
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